Papers, Please“ ist eines meines Lieblingsspiele. Lucas Pope feierte mit diesem Meisterwerk seinen Durchbruch, sodass alle gespannt auf das nächste Spiel des kreativen Mannes warteten. Ursprünglich wollte er nur ein halbes Jahr an „Return of the Obra Dinn“ arbeiten, allerdings investierte er vier weitere Jahre, um das Detektivspiel fertigzustellen. Herausgekommen ist nicht nur ein weiterer Beweis für seine Liebe zu einzigartigen Werken. Der Titel ist zugleich eines der besten Spiele, die man für diese Konsolengeneration erwerben kann.

Die Rückkehr des Grauens
Anfang des 19. Jahrhunderts verschwindet das Schiff Obra Dinn spurlos und beendet nie seine Reise von England nach Indien. Fünf Jahre später taucht das Schiff wieder auf, von Überlebenden ist aber wie erwartet keine Spur. Der Spieler übernimmt die Rolle eines Versicherungsermittlers, der herausfinden soll, was mit der Besatzung geschehen ist. Dabei geht es gleich zu Beginn mystisch zur Sache: Er erhält nicht nur ein Buch, das sich magischerweise offenbart, sondern auch eine Uhr, mit der er den letzten Moment im Leben der Crewmitglieder als Szene untersuchen kann, inklusive letzter Worte.
Die verschlüsselte Wahrheit
Das Spielprinzip wird bereits in den ersten Minuten deutlich erklärt. Der Spieler muss die Leichen finden, in die Szenen reisen und anhand der Dialoge sowie Szenen herausfinden, was geschehen ist. Dabei geht es stets um ein Crewmitglied, dessen Eintrag im Notizbuch erscheint. Der Spieler muss nun zwei Fragen beantworten: Wer ist die tote Person und wie ist diese gestorben? Letzteres lässt sich fast immer direkt beantworten, doch die Identitäten der Verstorbenen sind eine andere Geschichte.
Damit die Lösungen nicht zu leicht geraten, kann der Spieler aus einer langen Liste an Personen sowie Todesursachen wählen, von denen einige sogar eine Unterkategorie haben. Es reicht also nicht festzustellen, dass jemand zerquetscht wurde, auch das dafür verantwortliche Objekt muss bestimmt werden. Besonders schwierig wird es, wenn auch noch ein Mörder identifiziert werden muss. Praktischerweise beherbergt das Notizbuch weitere Informationen, nämlich welche Personen anwesend waren, wobei hier keine Namen verraten werden, die Todesszene sowie der entsprechende Dialog, wenn es einen geben sollte.

Die perfekte Einführung
All diese Mechaniken sind leicht zu verstehen, insbesondere, weil die Einleitung perfekt geraten ist. Der Spieler kennt zwar die Identität der ersten Leiche nicht, sieht aber den Kapitän, und kann diesen dann nach den ersten Szenen eindeutig identifizieren. Noch besser: Anhand der Dialoge lässt sich gleich ein weiterer Schlüsselcharakter einordnen, sodass „Return of the Obra Dinn“ einem beibringt, dass um die Ecke gedacht werden muss. Häufig beinhalten völlig andere Szenen wichtige Informationen für die aktuelle Szene, sodass man sich stets Notizen machen sollte.
Damit das Spiel nicht zu überwältigend startet – schließlich gibt es 60 Fälle –, handelt es sich bei dem ersten Zusammenhang um eine kleine Szene sowie einen überschaubaren Bereich. Somit wird man auf die kommenden Kopfnüsse vorbereitet, weiß aber direkt, worauf geachtet werden muss. Hier geht es weniger um die Spielmechaniken, sondern um logische Schlussfolgerungen, die zu ziehen nicht einfach ist.
Keine kleinen Rätsel
Im Anschluss geht es über das Deck, und hier beginnt die wahre Geschichte. Anhand von Kapiteln im Notizbuch lassen sich die Tode zeitlich einordnen, das wird aber erst später wichtig. Es folgen zahlreiche Szenen, die mehr über das Schicksal der Crew verraten, doch logische Schlussfolgerungen lassen sich erst wieder nach einer Stunde ziehen. Auch hier gibt es einen roten Faden, denn häufig erscheinen Leichen erst, wenn eine mit ihnen verbundene Szene angeschaut wurde. Zwar bleibt man häufig mit einem Fragezeichen über dem Kopf zurück, doch je weiter man sich voranarbeitet, desto größer wird das Gesamtbild.
Genau deshalb ist „Return of the Obra Dinn“ kein Spiel für zwischendurch. Es erfordert eine große Konzentration, denn manchmal müssen Informationen verbunden werden, die mehrere Stunden auseinander liegen. Tatsächlich fühlt man sich deshalb trotz klarer Anweisungen anfangs verloren, doch es lohnt sich, bei der Stange zu bleiben. Irgendwann hört man Namen, erkennt Gesichter wieder und stellt im Notizbuch Verbindungen auf, die eine regelrechte Kettenreaktion auslösen. Praktischerweise gibt es nicht nur einen Lageplan, sondern auch eine Passagierliste, die den Rang der Reisenden angibt. All diese Informationen müssen akribisch analysiert werden, um alle Geheimnisse des Schiffes zu lüften.

Eine intensive Untersuchung
Was „Return of the Obra Dinn” von seinen Genre-Kollegen unterscheidet, ist seine Wertschätzung für den Spieler. Es gibt keine vorgefertigten Antworten oder klaren Ziele, sondern eine riesige spielerische Freiheit. Lucas Pope geht davon aus, dass jeder erkennt, dass hier nicht 60 Fälle aneinandergereiht werden. Vielmehr handelt es sich bei dem ganzen Schiff um ein Puzzle mit vielen Teilen, das zusammengesetzt werden muss. Anfangs passen keine Teile zusammen, doch sobald man den Rahmen fertiggestellt hat, lässt sich das Gesamtbild erahnen. Keine Szene ist unwichtig oder steht für sich alleine, vielmehr ist es das Verbinden und Zusammensetzen, das zur eigentlichen Herausforderung wird.
Genau deshalb ist es so wichtig, dass der erwähnte rote Faden existiert. Wären alle Szenen von Beginn an verfügbar, würde es zur Mammutaufgabe, logische Schlüsse zu ziehen. Deshalb erhält der Spieler immer nur einen Teil nach dem anderen, sodass das Spieldesign selbst die größte Hilfe darstellt. Fairerweise müssen nicht einmal alle Rätsel perfekt gelöst werden, denn wenn eine Todesart nicht eindeutig auszumachen ist, akzeptiert das Spiel auch eine ähnliche Option. Dennoch hat man nie das Gefühl, dass einem Optionen angeboten werden, stattdessen ist es der Spieler selbst, der alle Rätsel eigenständig löst.
Von Z bis Q über A
Zudem ist die Erzählweise alles andere als gewöhnlich. Anstatt die Handlung in der richtigen Reihenfolge durchzugehen, erfährt der Spieler zuerst, was am Ende der hoffnungslosen Reise geschehen ist. Danach geht es nicht linear von hinten nach vorne, doch es dauert lange, bis man vom ersten Todesfall erfährt. Zudem wird jedem Charakter Leben eingehaucht, sei es durch die Dialoge oder Beziehungen zu anderen Charakteren. Schwarzer Humor steht an der Tagesordnung, weshalb man durchaus einen erweiterten Toleranzbereich mitbringen sollte.
Und dann wären da noch die Todesszenen, die durchweg großartig aussehen. Hier soll nicht zu viel verraten werden, aber schon die Liste an Ursachen, darunter „enthauptet“, „erfroren“ und „zerfetzt“, dürfte einen Hinweis darauf geben, wie brutal es zur Sache geht. Dabei bleibt es durchweg bemerkenswert, wie realistisch diese Szenen aussehen, denn manchmal darf der Spieler Körperteile sehen, die gerade erst von ihrem Körper getrennt wurden. Aufgrund des simplen Grafikstils werden diese Szenen glücklicherweise weit genug entschärft, um sensible Spieler nicht zu verschrecken.

Perfekte Geschmacksache
Bei dem optischen Stil ist der persönliche Geschmack ausschlaggebend – deshalb gibt es hier auch den wohl einzigen Kritikpunkt. Das monochrome Spiel lebt von seinen körnigen Szenen, doch das dürfte einigen Spielern Probleme bereiten, Gesichter eindeutig zu erkennen. Das wird durch die Gruppenbilder zwar entschärft, dennoch wird der Stil nicht jedem Auge guttun. Glücklicherweise lässt sich die Farbe ändern, was es uns im Test erst ermöglicht hat, das Ende zu erreichen. In Sachen Soundtrack ist dafür wieder alles perfekt, denn die Stücke, die auf Streicher setzen, könnten nicht besser zu der Zeit und dem Ort passen. Das gilt auch für die englischen Sprecher, die durch die Bank weg eine grandiose Leistung abliefern.
Technisch gibt es derweil keine Probleme. Das Spiel läuft durchweg flüssig, die Ladezeiten sind kurz und die automatische Speicherfunktion effektiv. Die Portierung ist erstklassig gelungen, sodass auch das Bild im Handheld-Modus keine Details vermissen lässt. Alles andere wäre bei dem optischen Stil zwar eine herbe Enttäuschung gewesen, doch für das perfekte Paket haben die Macher dennoch ein dickes Lob verdient.
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