Dass Xenoblade Chronicles“ nach einer anfänglich fragwürdigen Veröffentlichungspolitik zu einer der wichtigsten Nintendo-IPs werden würde, hätte wohl 2010 niemand erwartet. Das liegt auch an der Nintendo Switch, auf der nicht nur die Fortsetzungen erschienen sind, sondern dank eines Remasters die komplette Trilogie spielbar ist. Da könnte man glatt vergessen, dass es sich dabei nicht um die gesamte „Xenoblade Chronicles“-Reihe handelt. 2015 erschien „Xenoblade Chronicles X“ und sticht bis heute heraus, da sich das Team damals einen anderen Fokus setzte: Weniger Story, mehr Erkundung. Ob die verbesserte Nintendo Switch-Version dem Titel zu einem zweiten Frühling verhelfen kann, haben wir für euch herausgefunden.

Die namenlosen Helden
Bereits der Prolog unterscheidet sich stark von dem, was Fans der Trilogie erwarten würden. Die Weltraumschlachten verwundern da weniger als der Charakter-Editor. Vor dem Start des Abenteuers wird ein eigener Held oder eine eigene Heldin erschaffen. Auch wenn die Anpassungsoptionen im Vergleich zu aktuellen Titeln recht eingeschränkt wirken, darf man sich hier entfalten. Das verändert den gesamten Ton des Abenteuers: Wir spielen nicht mehr einen vorgefertigten Helden und erleben dessen Vorgeschichte sowie Charaktereigenschaften, sondern füllen ihn selbst mit Leben. Das wird in der Handlung auch durch Dialogoptionen unterstützt. Obwohl diese häufig sehr beschränkt sind und meist keinen Einfluss auf den Gesprächsverlauf haben, verdeutlichen sie, dass eine andere Perspektive eingenommen wird.
Eine neue Heimat
Die eigentliche Handlung beginnt schon vorher, denn die Menschheit muss die Erde nach einem Krieg zwischen Aliens verlassen. Einige der Fluchtraumschiffe landen dabei auf dem Planeten Mira, wo die Menschheit sich eine neue Bastion erbaut hat: New Los Angeles. Dort angekommen, schließt sich der Protagonist einer von mehreren Einheiten an und verfolgt das aktuell wichtigste Ziel der Menschheit: Den Planeten Mira zu erkunden und die Menschheit zu retten.
In den ersten Stunden kleistert „Xenoblade Chronicles X“ Spielende noch mit einem Haufen an Exposition zu. Ständig gibt es Erklärungen, wie die Welt funktioniert, wie sich die Menschheit organisiert hat und was nun die eigene Rolle sein soll. Glücklicherweise ändert sich das, und obwohl die Geschichte eine für die Reihe eher ungewohnte Rolle im Hintergrund einnimmt, sind die späteren Zwischensequenzen durchaus interessant. Man verliert sich regelrecht in der Geschichte des fremden Planeten. Das liegt auch an den zahlreichen Charakteren, denen man begegnet. Einige bieten spannende Nebenaufgaben, andere entpuppen sich in gesonderten Gesprächen als deutlich vielschichtiger, als erwartet. Fans der Reihe müssen eine andere Grundeinstellung annehmen: Die Geschichte ist nicht das Zentrum des Spielerlebnisses, sondern begleitet es über zahlreiche Stunden hinweg. Genau das ist die Stärke, denn es fühlt sich tatsächlich so an, als würde man der Menschheit zu einer neuen Hoffnung verhelfen. Und dann wären da noch die neuen Story-Elemente, die ausschließlich in der Nintendo Switch-Version zu finden sind. Ohne zu viel zu verraten: Sie tragen zum Gesamtpaket bei und sind definitiv ein Grund, das Spiel erneut anzupacken, selbst wenn man es schon von der Wii U kennt.

Der unbekannte Planet
Mira ist ein interessanter Schauplatz, da er für die Menschheit größtenteils unbekannt ist. Für Spielende bedeutet das, dass sie sich auf zahlreiche Stunden voller Entdeckungstouren einstellen können. Zwar gibt es eine Hauptgeschichte in mehreren Kapiteln, die einen an bestimmte Orte schickt, dazwischen wird allerdings immer wieder empfohlen, auf Erkundungsmissionen zu gehen, Nebenmissionen zu erledigen und schlichtweg die riesige Welt zu genießen. In den ersten Stunden wird man zwar nur in der Umgebung rund um New Los Angeles unterwegs sein und somit eher Klippen, Wiesen und andere klassische Elemente erkunden. Doch bereits hier sind es die Kreaturen, die begeistern und teilweise so gefährlich sind, dass man lieber einen großen Bogen um sie macht. All das fühlt sich nach „Xenoblade“ an, aber noch ein wenig größer, freier und mysteriöser.
Wer sich durch die ersten Kapitel beißt, dürfte aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen. Mira ist nämlich weitaus größer, als es anfangs scheint. Gleich mehrere Kontinente mit eigenen Biomen, Monstern und Gefahren machen deutlich, dass ein gigantisches RPG darauf wartet, erforscht zu werden. Das mag stellenweise überwältigend wirken. Doch je mehr Missionen man annimmt und je mehr Waffen man erhält, desto besser wird man an die schieren Möglichkeiten herangeführt. Genau das dürfte für einige jedoch ein Problem darstellen: Wer sich nicht darauf einlässt und wenig Geduld mitbringt, dürfte vom eher langsamen Tempo abgeschreckt werden. Doch wer mit den richtigen Erwartungen herangeht, wird mit einer wunderbar interessanten und immer wieder beeindruckenden Welt belohnt, die auch nach zahlreichen Stunden immer wieder zu überraschen weiß. Wenn dann noch ein spezielles Fortbewegungsmittel freigeschaltet wird, gibt es keine Grenzen mehr.
Vorne, Hinten, Seitlich, Sieg
Das Kampfsystem ist ein weiterer Aspekt, den man nicht missen möchte. Angegriffen wird automatisch, sobald ein Kampf startet. Man wählt aus einer Reihe verfügbarer Spezialangriffe solche aus, die besondere Effekte mit sich bringen. Mal wird ein Gegner umgeworfen und dadurch handlungsunfähig gemacht, mal wird mehr Schaden ausgeteilt, wenn man ihn von der Seite angreift. Die eigene Position ist dabei ebenso wichtig wie die der Partymitglieder, die immer wieder rufen, wenn ein bestimmter Angriff besonders effektiv sein kann. Auch das ist alles bekannt. Spannender ist es da schon, dass man jederzeit zwischen seiner Nahkampfwaffe und einer Fernfeuerwaffe wechseln kann. Das macht die Kämpfe taktischer und dynamischer. Besonders wichtig ist zudem eine neue Leiste, durch die Spezialangriffe direkt aufgeladen werden können, anstatt auf den Cooldown zu warten. Dadurch entfallen nervige Situationen, in denen man Angriffe gerade erst genutzt hat, obwohl sie wenige Sekunden später effektiver hätten eingesetzt werden können. Zudem erhöht die Leiste auch das allgemeine Kampftempo, was sehr willkommen ist.
„Xenoblade Chronicles X: Definitive Edition“ bietet ein Klassensystem, in dem man sich frei austoben kann, um neue Spezifikationen und Fähigkeiten zu erlernen. Man kann hin und her wechseln, um sich auszuprobieren. Dass auch noch andere Partymitglieder stets dabei sind, vergisst man da schon fast. Klassen aufzuwerten, die Skills zu optimieren und neue Partymitglieder in speziellen Quests anzuwerben, mag für einige zu stark in Menüs stattfinden. Allerdings kommt man auch ohne Probleme durch das Abenteuer, wenn man sich nur grob mit den Systemen beschäftigt. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, die Vor- und Nachteile zu ergründen, wird mit einem bemerkenswert vielschichtigen RPG belohnt, das Freiheiten nicht nur in der Erkundung, sondern auch in der Charakteranpassung zulässt.

Das wahre Potenzial
Die meiste Zeit verbringen Spielende nicht damit, verschiedene Städte zu besuchen und die Welt zu retten. Vielmehr werden Rohstoffe besorgt, Charakteren in umfangreichen Nebenmissionen geholfen oder schlichtweg die Welt erkundet. Das könnte ermüdend sein, doch sobald die ersten Anzeichen dafür entstehen, erreicht man ein Level, durch das der Zugang zu sogenannten Skells freigeschaltet wird. Mit diesen riesigen Mechs ist man deutlich schneller und stärker unterwegs. Durch hohe Sprünge erklimmt man plötzlich Berge in Sekunden, die vorher noch eine ganze Reise dargestellt haben. Wenn man dann noch die Fähigkeit zu fliegen freischaltet, sind der Erkundung keine Grenzen mehr gesetzt. Plötzlich entfaltet sich die Welt auf eine völlig neue Weise. Das vertikale Design wird vollends ausgeschöpft, und es fühlt sich ein wenig so an, als ob das richtige Abenteuer nun erst beginnt. Weitere Anpassungsmöglichkeiten vergisst man da schon fast, denn das simple Erkunden der Welt wird zu einer Aufgabe, die auch nach 100 Stunden noch nicht ermüdet. Das liegt auch daran, dass man für jeden Trip entsprechend belohnt wird.
Weitere Änderungen sorgen ebenfalls für einen angenehmeren Verlauf. Ein verbesserter Questmarker, der einen per Spur ans Ziel bringt, kann insbesondere die kurzweiligeren Aufgaben schneller gestalten. Die verbesserte UI, die an die anderen Hauptteile erinnert, sorgt auch für einen besseren Überblick. Hier wurde nicht einfach nur ein sehr gutes Spiel portiert, sondern an den richtigen Stellen geschraubt, um es zu verbessern. Und dann gibt es sogar noch neue Charaktere, Quests und andere Überraschungen, weswegen selbst Kenner des Originals einen Blick riskieren sollten.
Schön, aber nicht perfekt
Bereits auf der Wii U war „Xenoblade Chronicles X“ technisch beeindruckend, insbesondere wenn man bedenkt, wie groß und weitläufig die Welt war. Das übersetzt sich auch auf die Nintendo Switch, allerdings bleibt die Frage offen, ob nicht mehr möglich gewesen wäre. Es gibt aufploppende Objekte, die Auflösung wurde zwar erhöht, hätte aber noch einen weiteren Boost vertragen, und auch die Bildrate wirkt nicht immer stabil, besonders bei schlechtem Wetter. Das ist einerseits schade, allerdings dürfen die technischen Limitierungen der Switch nicht vergessen werden. Das Gesamtbild ist trotzdem teils wunderschön. Insbesondere die Details in der Ferne sehen auf der Nintendo Switch besser aus, die Farben sind etwas knalliger, was die Welt lebendiger wirken lässt, und die Charaktermodelle wurden ebenfalls überarbeitet. Auch die Ladezeiten enttäuschen nicht, besonders bei der Schnellreise. Ladebildschirme gibt es so gut wie keine, was mittlerweile ein Markenzeichen der Reihe ist, durch den offenen Charakter der Welt aber noch beeindruckender wirkt.
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