Innerhalb der Super Mario“-Hauptreihe gibt es mehrere potenzielle Außenseiter. Etwa „The Lost Levels“, das seinerzeit ausschließlich in Japan erschien, oder „Bros. 2“, das ursprünglich gar kein „Mario“-Spiel war, oder die „Super Mario Land“-Spiele, die von einem anderen Entwicklerteam stammen. Und obgleich all dies auf „Super Mario Sunshine“ nicht zutrifft, gilt ausgerechnet jenes GameCube-Jump'n'Run aus dem Jahre 2002 als Schwarzes Schaf der Reihe. Als große Fans von Marios umstrittenen Inselausflug sind wir ausführlich der Frage nachgegangen, warum das Spiel diesen wenig ruhmreichen Ruf innehat, und möchten unsere Resultate nun mit euch teilen.

Eine dümmliche und fremde Spielwelt
Ausgearbeitete Akteure, eloquente Erzählungen, tiefgreifende Twists und wirklichkeitsgetreue Welten mögen nicht zum medialen Metier von Miyamotos Kultklempner zählen. Doch selbst angesichts dieser verhaltenen Verhältnisse wirkt Isla Delfino ausgesprochen dümmlich. Wir erinnern uns: Das tropische Eiland, auf das es die erholungssuchenden Mario, Prinzessin Peach und das Toad-Throngefolge verschlägt, wird terrorisiert von Marios Doppelgänger Mario Morgana. Der Bösewicht hat ganz Isla Delfino mit Schleim besudelt, der die Einheimischen tyrannisiert und die Insignien der Sonne in die Flucht schlägt, denen die Kraft der Sonne und damit die Energie der Insel innewohnt. Obwohl dies alles vor der Ankunft der Urlauber aus dem Pilzkönigreich geschah und der Fiesling bloß von seiner Form her wie Mario aussieht, wird der echte Mario verhaftet und irrtümlicherweise als Schuldiger verurteilt. Ausgerechnet die sonst so stupide-passive Peach ist es, der als einzige leichte Zweifel kommen.
Isla Delfino ist ichbezogen, inkompetent und isoliert. Die einzelnen Distrikte der Insel sind nicht miteinander verbunden, sondern nur auf äußerst absonderliche Arten ansteuerbar, zudem wirkt das Delfin-förmige Eiland von der Außenwelt abgeschnitten. Das Inselvolk kann sich nicht gegen den Angreifer zur Wehr setzen, verurteilt einfach so einen Unschuldigen und merkt nicht, dass der wahre Übeltäter noch auf freiem Fuß ist und weiter seine Schandtaten treibt. Und dann wäre da etwa noch der Typ im Bootshaus, der auf gleich 24 der überlebenswichtigen Insignien der Sonne sitzt, diese aber nur gegen seltene Blaue Münzen herausgibt. Der Eindruck der Unfähigkeit und des Egoismus wird auf die Spitze getrieben von einem brennend umher rennenden Einheimischen, dem niemand zur Hilfe eilt und der sich nicht selbst helfen kann, obwohl drei Meter neben ihm das Meer ist.
Diese Welt ist anders als das so vertraute Pilzkönigreich; sie ist fremd. Keine der bekannten Rassen lebt hier, nicht einmal als Tourist. Stattdessen muss Mario mit den noch nie zuvor gesehenen Palmas und Paradisos klarkommen. Auch die Monster der Insel sind Mario fremd. Gumbas und Koopas leben hier gar nicht, Piranha-Pflanzen und Buu-Huus sehen ganz anders aus als in der Heimat. Und während das Pilzkönigreich eine magische, abstrakte, surreale Welt ist, weist Isla Delfino ein ungewohnt realistisches Flair auf. Die einzigen vertrauten Gesichter für Mario sind jene, die gar nicht hier heimisch sind. Kein Wunder, dass der Klempner mit der sprechenden Wasserdüse Dreckweg 08/17 einen ständigen Begleiter erhält: Diese Welt ist nicht auf den Klempner angepasst, er gehört hier nicht hin, macht ja nur Urlaub. Seine gewöhnlichen Aktionen helfen ihm nicht viel weiter. Diesmal ist er selbst auf Hilfe angewiesen, um sich in seiner Umgebung zurecht finden zu können.

Friede, Freude, Eierkuchen ist auch nur auf diesem Promo-Artwork.
Hanebüchene Handlung mit selbstreferenziellem Sinn
Mario darf Isla Delfino erst wieder verlassen, wenn er mithilfe des Dreckweg die ganze Insel vom Schleim befreit, die Insignien der Sonne zurückgeholt und dabei noch seine Unschuld bewiesen und den wahren Übeltäter offenbart hat. Das ist die überraschend prominent präsentierte Prämisse von „Super Mario Sunshine“, die jedoch gewohnt flach und zugleich ungewohnt hanebüchen daherkommt. Doch man kann sie selbstreferenziell deuten als Parabel für die damalige Bedeutung des Spiels für Nintendo.
Dabei steht Isla Delfino für die gesamte Videospielindustrie, während Mario Nintendo verkörpert. Aufgrund Marios vergangener Leistungen hegt die Insel hohe, aber nicht konkretisierte Erwartungen an Mario. Dieser kann jene Expektationen aufgrund deren undefinierter Natur nicht erfüllen, wofür er nun von der Insel beschuldigt wird. Jetzt muss sich Mario erst wieder unter Beweis stellen, seinen guten Ruf rechtfertigen. Doch er steht unter Druck, hat selbst keinen genauen Plan, wie es weitergehen soll, wird von Gewissenskonflikten und Unsicherheiten geplagt und ist somit auf Hilfe angewiesen. Was nur ein entspannender, erholsamer Urlaub werden sollte, entpuppt sich als eklatant existenziell für Marios Zukunft.

„Sunshine“-Fans werden erschaudern. Leider war der Pachinko-Level bei Weitem nicht der einzige, der aufgrund eines ausgesprochen schlechten Designs für Frust sorgte.
Ein schlechtes „Super Mario“-Spiel?!
Wenden wir uns erst einmal dem Metaphorischen ab und werden wieder konkreter. Was genau an „Super Mario Sunshine“ erfüllte denn die Erwartungen der Fangemeinde nicht? Nun, da wären zunächst die von Kritikern und Kunden rauf- und runtergebeteten Mängel des Spiels, die „Sunshine“ im Kontext der ansonsten stets perfekt durchdesignten und auf Hochglanz polierten „Super Mario“-Reihe zum qualitativen Ausreißer abstürzen lassen.
Dies sind die in Spielrezensionen omnipräsenten Makel an „Sunshine“: Die Kamera zickt häufig herum und ist schwierig zu kontrollieren; die gesamte Steuerung ist zu kompliziert; die Handlung, deren Akteure und deren Sprachausgabe sind, gelinde gesagt, ulkig; der Dreckweg ist unnötig, nervig, passt nicht zu einem „Mario“-Titel oder erleichtert das Spiel zu sehr. Außerdem sind Optik und Akustik bemerkenswert unbedeutend: Die Grafik leidet unter zu grellen Farben, groben Texturen, einfachen Modellen und einer ungleichmäßigen Bildrate, während es im Soundtrack zu viele belanglose Stücke gibt, die nicht im Kopf hängen bleiben. Andererseits, das muss man hinzufügen, glänzt „Sunshine“ durch überzeugende Wasser- und Schleimdarstellungen sowie eine sehr weite Draw Distance, und Stücke wie Isla Delfinos Hauptthema oder das a-Capella-Arrangement der „Mario“-Titelmelodie sind charaktervolle Ohrwürmer.
Das alles sind eher oberflächliche Kritikpunkte, die eigentlichen Schwächen des Spiels sind etwas tiefer verborgen. „Sunshine“ fühlt sich einfach nicht so hochwertig an, wie man es von der Reihe gewohnt ist, was sich besonders ausdrückt in eindeutigen Fehlern wie Bugs und Glitches oder Falschaussprachen in den vertonten Dialogen. Noch schwerwiegender ist das Folgende: Die eigentlich wunderschön gestalteten und weitläufigen Welten sind unzureichend in den Spielfluss integriert. Repetitive Missionstypen, etwa Verfolgungs- oder Sammelaufgaben, sorgen für Monotonie. Und mangels abwechslungsreicher und interessanter Missionen ist das letzte Fünftel aller Insignien nur Füllmaterial, weil man hierfür die überall versteckten Blauen Münzen benötigt. Diese wiederum sind so zahlreich, so verzwickt und so lieblos versteckt, dass das Sammeln zu einer schmerzvollen Tortur verkommt. Und zu einer sinnlosen obendrein, denn die Belohnung dafür, jene Sisyphus-Arbeit zu überstehen und alle 120 Insignien zu erlangen, rechtfertigt dieses frustrierende Erlebnis in keinster Weise.

Das sympathische Bergdörflein Monte Bianco war schon immer unser Lieblings-Level in „Sunshine“. Welchen mochtet ihr am meisten?
„A delayed game is eventually good …“
All dies ist aber nicht dem Zufall verschuldet. Sondern der Tatsache, dass dem „Sunshine“-Entwicklerteam einfach zu wenig Zeit zur Verfügung stand – und das, obwohl Shigeru Miyamotos meistzitierte Aussage sehr offen ist bezüglich Verschiebungen zwecks einer höheren Qualität. Im Falle „Super Mario Sunshine“ trafen jedoch mehrere ungünstige Faktoren zusammen, die eine mögliche Verlängerung der Entwicklungsarbeiten vom Tisch räumten. Werfen wir also einen pointierten Blick hinter die Kulissen des Spiels. An dieser Stelle kommen wir natürlich nicht umhin, auf unsere umfangreiche „Inside Nintendo“-Reportage zu diesem Thema zu verweisen.
„Super Mario 64“ kam 1996 auf den Markt, die Entwicklung des Nachfolgers „Sunshine“ aber begann erst Ende 2000/Anfang 2001. Was hat das Entwicklerteam bloß in den Jahren dazwischen gemacht? – Wegen der damaligen ungeordneten Struktur von Nintendos EAD-Abteilung hat das „Mario 64“-Team auch die „Zelda“-Spiele „Ocarina of Time“, „Master Quest“ und „Majora's Mask“ entwickelt. Darüber hinaus arbeitete EAD die ganze Zeit über tatsächlich an einem neuen „Super Mario“-Spiel, Stichworte „Super Mario 64 2“ und „Super Mario 128“ (wir berichteten), die allerdings nie vollendet wurden. Erst als „Mario 64“-Co-Director Yoshiaki Koizumi vom GameCube-Controller auf die Idee zu einem Videospiel mit Wasserpistolen gebracht worden war und sein Team drei Monate lang mit dem Konzept experimentiert hatte, kam der Stein ins Rollen.
Ironischerweise verzögerte ausgerechnet eine Effizienzmaßnahme den Beginn der Arbeiten an „Sunshine“. Denn um die Grundlagenarbeit für kommende Projekte erheblich zu erleichtern, programmierte Nintendo von Grund auf eine neue Engine für den GameCube, die erstmals für „Sunshine“ verwendet wurde und ferner Grundlage von „Zelda: The Wind Waker“, „Mario Kart: Double Dash“, „Super Mario Galaxy“ und weiteren Titeln ist. In diesem Fall half die Maßnahme aber noch nicht, denn so konnte die eigentliche Entwicklungsphase von „Sunshine“ erst beginnen, sobald die neue Engine fertig programmiert worden war.
Als erste Nintendo-Konsole kam der GameCube deshalb nicht in Begleitung eines neuen „Super Mario“-Teils auf den Markt. Außerdem litt die Konsole unter wenigen Veröffentlichungen der Dritthersteller. Dies verstärkte den Hunger der Spielebranche auf das neue „Mario“-Spiel und setzte dessen Entwickler mächtig unter Druck. Weil das Spiel zudem das perfekte Sommerfeeling einfängt, musste es passend zur Jahreszeit erscheinen. Von Beginn an stand somit fest, dass „Sunshine“ bereits im Sommer 2002 herauskommen musste. Während es in Japan auch tatsächlich pünktlich im Juli veröffentlicht wurde, folgte es in Europa erst im Oktober – nicht wirklich mehr Sommer.

In diesem Beta-Screenshot ist das frühere Design des Dreckweg deutlich erkennbar. Weitere Unterschiede zur finalen Fassung: Die Energie-Anzeige, der ganze Level (eine frühe Version von Monte Bianco?), die viel gröbere Grafik
„… but a rushed game is forever bad“
Bloß anderthalb Jahre hatte das Team somit für die Entwicklung des Spiels, und eine Verschiebung zugunsten der Qualität stand aus den genannten Gründen außer Frage. Im Klartext heißt das alles: Nintendo wusste nicht, wie man „Super Mario 64“ würdig nachfolgen sollte, und als es wirklich Zeit wurde, entstand „Sunshine“ quasi als Notlösung – es war ja nicht von Beginn an ein „Mario“-Spiel. Dass der Titel hätte besser werden können, wären die Arbeiten früher gestartet, hat Miyamoto selbst öffentlich zugegeben.
Das ist der Grund für das mangelnde Polishing und die inhaltliche Leere. Außerdem blieben somit viele geplante Ideen für das Spiel unumgesetzt: Ein Zug-Transfer-System, ein Mehrspieler-Modus, fünf weitere Spielwelten, der Vulkan als großer missionsbasierter Level, eine Bildrate von 60 Bildern pro Sekunde sowie viele weitere Düsen für den Dreckweg, wie ein Feuerwerk oder ein Sprinkler.
Hinzu mag kommen, dass zwar erfahrene Entwickler wie Yoshiaki Koizumi und Kenta Usui Projektleiter waren, das gesamte Team aber eher jung und unerfahren war. Für nicht wenige der 30 bis 50 Beteiligten war „Sunshine“ überhaupt das Debüt-Projekt. Ein Beispiel ist die zuvor bloß an „Luigi's Mansion“ mitwirkende Shinobu Tanaka, die unter Koji Kondos Aufsicht den Großteil des Soundtracks schrieb. Die unterirdische Handlung indes kann man darauf zurückführen, dass diese, wie bei Nintendo üblich, erst als Letztes in das Spiel integriert wurde, obgleich ihr diesmal eine viel größere Bedeutung zuteil werden sollte.
Übrigens könnte man die Erstvorstellung des Spiels im August 2001 auf der Nintendo Space World als Vorausahnung für den unfertigen Endzustand von „Sunshine“ verstehen. Denn dieses legendäre Videomaterial aus einer frühen Fassung des Spiels durfte eigentlich gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen, wurde aber direkt geleakt und somit zu früh publiziert.
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(Eigentlich) Top Secret: Hier stellt Shigeru Miyamoto Material aus einer sehr frühen Version von „Super Mario Sunshine“ vor.
Ambivalente Antizipation, rigorose Rezeption, vage Verdikte
Ein Videospiel ist nicht unbedingt per se gut oder schlecht oder eben ein Schwarzes Schaf, sondern wird erst von der dedizierten Presse (hallo!) oder von der Fangemeinde (hey, das sind wir ja auch!) dazu stilisiert. Befassen wir uns also in diesem Sinne nun mit der Rezeptionsgeschichte von „Super Mario Sunshine“.
Einer häufig anzutreffenden Behauptung zufolge wurde „Sunshine“, als es 2002 erschien, universell und uneingeschränkt positiv gelobt und erst im Nachhinein umstritten wahrgenommen. Das ist jedoch falsch und rührt daher, dass „Sunshine“ zur Markteinführung weltweit Bestnoten erhielt, wovon noch heute ein respektabler Metascore von 92 % zeugt. Doch wenn man sich Rezensionen und selbst Vorschauberichte von damals einmal durchliest, wird man feststellen, dass das Spiel fast überall gemischt aufgenommen wurde, völlig unabhängig von der durchgängig hohen Zahl am Ende.
In Ermangelung eines cooleren Hobbys sind wir eine Vielzahl zeitgenössischer Tests zum Spiel durchgegangen und können euch den Kritikerkonsens zu „Sunshine“ verraten. Demnach sei es zwar ein sehr gutes Spiel, das jedoch von vielen Mängeln zurückgehalten werde. Auch hieß es einstimmig, dass das Spiel die enorm hohen Erwartungen an einen Nachfolger von „Mario 64“ nicht erfülle. Das ging so weit, dass in der „Sunshine“-Rezension der renommierten britischen Edge mehr über „Mario 64“ als über das neue Spiel gesprochen wurde. Auch gehörte zum damaligen Kritikertenor die Feststellung, dass „Sunshine“ wegen diverser Abweichungen vom bekannten Universum der „Super Mario“-Spiele nicht so recht in diese altehrwürdige Reihe passe. Zum letzten Punkt hat sich die Meinung der Spielejournalisten in den letzten Jahren stark gewandelt: Die Abwesenheit von Pilzkönigreich, Gumbas und Koopas, magischen Pilzen, Feuerblumen und Co. wird nun als Selbständigkeit gedeutet, durch die sich der Titel einen eigenen Platz im Kanon der Reihe erarbeite.
Den Verkaufserfolg des Spiels hat das Ganze aber kein bisschen vermindert. Denn wie es sich für ein „Mario“-Spiel geziemt, erreichte „Sunshine“ Verkaufszahlen, von denen die meisten anderen Studios nur träumen können. Mit über sechs Millionen Verkäufen ist es nach „Mario Kart“ und „Smash Bros.“ das dritterfolgreichste GameCube-Spiel. Von jedem vierten GameCube-Besitzer wurde es erworben und hat die Absatzzahlen der Konsole in die Höhe getrieben. Und überhaupt: Nach all den harten Worten muss eingestanden werden, dass „Sunshine“ selbst mit seiner Vielzahl an Mängeln immer noch besser ist als der Großteil aller anderen Videospiele.

Unbedeutender Außenseiter? Wirklicher Wendepunkt!
Das mag zwar nach einem Fazit geklungen haben, doch wir sind noch nicht ganz fertig. Welche Bedeutung hat „Sunshine“ wirklich innerhalb der „Super Mario“-Reihe, inwiefern hat es sie tatsächlich beeinflusst? Man mag meinen, „Sunshine“ sei nicht mehr als ein unwichtiger Außenseiter. Immerhin hat Nintendo das Spiel bis heute nicht neuaufgelegt geschweige denn fortgesetzt, behandelt es selbst recht stiefmütterlich, und die nachfolgenden „Mario“-Spiele gingen in eine ganz andere Richtung. Doch der Schein trügt.
Zunächst einmal ist Bowser Jr., der mit „Sunshine“ sein Debüt feierte, in die Liga der „Mario“-Hauptfiguren aufgestiegen und mischt seitdem in zahlreichen Spin-offs mit. In ebendiesen tauchen auch oft Palmas und Paradisos, der Dreckweg 08/17 und Piazza Delfino auf. Und nicht zu vergessen die Drehbalken-Galaxie aus „Super Mario Galaxy 2“, die eine exakte Nachbildung jener berüchtigten Parcours-Level aus „Sunshine“ ist, welche ihrerseits wiederum eine Hommage an ältere „Mario“-Teile darstellen. Doch abseits dessen hat Nintendo in seinen Post-„Sunshine“-Spielen auffällig wenige Referenzen auf Marios Inselurlaub eingebaut.
Angesichts dessen ist leicht zu übersehen, dass „Sunshine“ die Serie indirekt und subtil beeinflusst hat. Das Team hinter dem Spiel nämlich gründete ein neues EAD-Studio in Tokyo, das seither für Marios 3D-Abenteuer zuständig ist. Und in die Konzeption dieser Spiele sind jene Erfahrungen eingeflossen, die Nintendo mehr oder weniger schmerzhaft mit „Sunshine“ machen musste. Deswegen besinnen sich die „Galaxy“-Spiele sowie „3D Land“ und „3D World“ wieder auf die Stärken und den Charakter der älteren Teile, bieten unkomplizierte Platforming-Action, verzichten auf eine große vordergründige Handlung sowie auf Voice Acting.
Allerdings scheint Nintendo auch „Sunshines“ komplexere Natur als Grund für dessen gemischte Aufnahme gesehen zu haben. Darum sind die nachfolgenden Spiele immer simpler geworden, was einerseits mit einer weitaus einfacheren Steuerung einherging, doch andererseits Linearität mit sich brachte. Schon „Sunshine“ war weniger offen als „Mario 64“ – Missionen konnten damals noch in beliebiger Reihenfolge absolviert werden – und „Sunshines“ Umstrittenheit war nun der Katalysator für die Verschärfung dieses Trends, der große offene Spielwelten durch lineare zielstrebige Levels ersetzt. Wir sind gespannt, wie sich die „Mario“-3D-Platformer weiter entwickeln werden, und ob Nintendo nicht doch einmal ein Remake á la „Wind Waker HD“ veröffentlicht, das die Schwächen des Originalspiels ausmerzt.

So viel ungenutztes Potenzial: Ein „Sunshine“-Remake oder sogar eine Fortsetzung wären aus mehrerlei Gründen sehr wünschenswert. Nicht zuletzt wegen der heutigen Grafikmöglichkeiten.
Konklusion
Kommen wir nun endlich zum Fazit. Nachdem „Super Mario 64“ die Videospielwelt komplett gewandelt hatte, wusste Nintendo die Formel des Spiels nicht weiter zu verbessern. Darum verbrachte das Unternehmen Jahre mit Konzeptfindung, die jedoch zu keinem wirklichen Resultat führten. Wegen der Marktumstände war bald jedoch ein Nachfolger absolut unabdingbar, und weil dessen Entwicklung durch eine ungewöhnlich lange Grundlagenphase weiter verzögert wurde, stand das Team unter großem Zeitdruck. Deshalb kam „Super Mario Sunshine“ quasi unfertig auf den Markt.
Sechs Jahre hatten die Fans nun auf die „Mario 64“-Fortsetzung gewartet, sodass die Erwartungen ins Unermessliche gestiegen waren. Diese konnte das Spiel natürlich nicht erfüllen. Hinzu kam, dass die Fans eine weitere Revolution erwartet hatten, mit „Sunshine“ aber nur eine eher halbgare Evolution vorgesetzt bekamen. Darum war „Sunshine“ prädestiniert dazu, das Schwarze Schaf der Reihe zu werden! Und auf unter anderem diese Erfahrung kann man den seither verstärkten Fokus der Reihe auf Linearität zurückverfolgen.
Dennoch gilt, dass selbst das schlechteste „Super Mario“-Spiel besser ist als die meisten anderen Spiele. Und wirklich schlecht ist „Super Mario Sunshine“ ja definitiv nicht; es hat sehr viel Charme und Qualitäten, die späteren Teilen fehlen. Entsprechend steht eine große und treue Fangemeinde hinter „Sunshine“, zu der sich übrigens auch der Autor dieser Zeilen zugehörig wähnt.
Ein Letztes noch: Nintendo hat „Mario 64“ unbedingt mit einem völlig neuen, revolutionären Spiel fortsetzen wollen, was eben nicht geklappt hat. Dabei wäre die ideale Lösung so einfach gewesen: Das Kernkonzept nur geringfügig verbessern und durch neue kreative Level ergänzen. „Galaxy 2“ und „3D World“ beweisen, wie erfolgreich dieses Vorgehen sein kann. Wer weiß, vielleicht wurde Nintendo gerade durch das „Sunshine“-Debakel dazu animiert? Vielleicht wäre die beste Lösung auch einfach gewesen, „Super Mario 64 2“ nicht einzustellen.

Wir sind so große „Sunshine“-Fans, dass wir den vorliegenden Artikel per Hand geschrieben haben, wie dieses Manuskript beweist ;)
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