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Als wir nach einem halben Jahr (!) Xenoblade Chronicles X“, das neueste Rollenspiel von Monolith Soft, durchgespielt hatten, fühlten wir uns ernüchtert. Natürlich werden wir hier nicht verraten, wie das Spiel ausgeht; doch am Ende stand für uns die Erkenntnis, dass die Handlung des Wii-U-Epos hauptsächlich dazu dient, die Welt des Planeten Mira zu etablieren. Denken wir an die riesige Vorfreude zurück, die wir in den Jahren vor der Veröffentlichung hatten, so sind wir durchaus enttäuscht und fragen uns: Warum ist „Xenoblade Chronicles X“ so, wie es letztlich ist? Ein Blick hinter die Kulissen des Spiels dürfte uns Antworten bescheren.

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Offizielles Artwork zum Spiel von Charakterdesigner Yoko Tsukamoto, einer bekannten japanischen Fantasy-Illustratorin.

„Xenoblade“ war nur der Anfang

Die Geschichte hinter „Xenoblade Chronicles X“ reicht zurück bis ins Jahr 2010. Monolith Soft hatte gerade die Arbeiten am Wii-JRPG „Xenoblade Chronicles“ abgeschlossen und Tetsuya Takahashi, der Director von „Chronicles“ und den früheren „Xenogears“- und „Xenosaga“-Spielen, hegte bereits die ersten Vorstellungen davon, wie es für das Studio weitergehen sollte: Er wollte das Konzept von „Xenoblade“ erweitern und auf Basis dessen ein Sci-Fi-Spiel entwickeln. Der Nintendo-Produzent Hitoshi Yamagami, der für die Zusammenarbeit mit Monolith Soft zuständig ist, genehmigte Takahashis grobes Konzept.

Es muss schon festgestanden haben, dass Takahashis nächstes Rollenspiel für die Wii U erscheinen würde. Denn nach der Genehmigung versuchten er und sein Team herauszufinden, wie man das Konzept von „Xenoblade“ erweitern könne mithilfe der Leistung der neuen HD-Konsole von Nintendo, die im Vergleich zur Wii natürlich wesentlich leistungsstärker ist.

Schöne neue Welt

Um diese Frage zu beantworten, blickte Monolith Soft auf das eben vollendete Spiel zurück. Das im Mai 2010 in Japan veröffentlichte erste „Xenoblade“ zeichnet sich bekanntlich besonders durch seine große Spielwelt aus, die auf den Körpern zweier toter Titanen angesiedelt ist. „Ehrlich gesagt wollten wir Bionis und Mechonis eigentlich verbinden, sodass es ein Gebiet wäre“, sagte Takahashi, und Koh Kojima, ein weiterer Director des Spiels, ergänzte: „Wir wollten es eigentlich so machen, dass die Spieler jeden Ort erreichen konnten, der auf dem Bildschirm angezeigt wurde; aber leider gab es Stellen, die unerreichbar waren.“ Die schwache Wii-Konsole, aus der Monolith Soft bereits das letzte Quäntchen Leistung herausgekitzelt hatte, setzte den hochambitionierten Plänen also eine Schränke.

So war sich das Team rasch einig: Auf der Wii U wollte man eine riesige und völlig offene Spielwelt ohne jegliche Grenzen erschaffen. „Das wurde die erste Säule für dieses Projekt“, erklärte Takahashi. Was ihm und seinem Team anfangs vor Augen schwebte, war aber noch einmal ambitionierter: „Als wir dieses Projekt anfingen, haben wir besprochen, einen ganzen Planeten für dieses Spiel zu erschaffen.“

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Ursprünglich wollte Monolith Soft nicht bloß fünf Kontinente, sondern einen ganzen Planeten als Spielwelt entwickeln. Stammt dieses Konzept-Artwork aus dieser frühen Entwicklungsphase? Zeigt es den ganzen Planeten Mira? Werden wir in künftigen „Xeno“-Spielen den Rest des Planeten erforschen können?

Die größte Spielwelt aller Zeiten

Letztlich schuf Monolith Soft keinen ganzen Planeten, sondern „bloß“ fünf Kontinente mit einer Gesamtgröße von etwa 400 km². Trotzdem: Auch 400 km² sind eine unvorstellbare Größe für eine Spielwelt – es ist ein Vielfaches der Spielwelt des Vorgängers und überbietet selbst das gewaltige Open-World-RPG „Skyrim“ mehrfach. Solche virtuellen Größen lassen sich zwar nicht ohne Weiteres exakt feststellen und nur schwer miteinander vergleichen, aber „Xenoblade Chronicles X“ dürfte die mit Abstand umfangreichste per Hand gestaltete Welt in einem Videospiel umfassen.

Takahashis neues Epos sollte also den Vorgänger, der bereits wegen seiner weitläufigen Level gelobt worden war, noch einmal in den Schatten stellen. So verwundert es auch nicht, dass er in einem Interview 2012 das erste „Xenoblade“ als bloße Vorstufe für sein bis dahin noch nicht enthülltes neues Projekt bezeichnete. Natürlich bedeutete das Ganze für das Team aber auch unfassbar viel Arbeit. Denn nicht nur musste das überraschend kleine Studio – Monolith Soft hat im Ganzen nur etwas über 100 Angestellte – die gewaltigste Videospielwelt aller Zeiten erst einmal gestalten; Takahashi und sein Team hatten auch zu überlegen, was genau der Spieler mit dieser riesigen Welt denn überhaupt anfangen solle.

Keine Science Fiction ohne Roboter

Es stand zwar schon fest, dass das Projekt seinen Schwerpunkt auf die Erkundung der Welt legen sollte. Doch das allein reichte als Anreiz nicht aus. Im Gespräch mit Koh Kojima kam Takahashi aber bald auf die Idee, die Welt des Planeten Mira in zahlreiche Hexagon-förmige Unterbereiche aufzuteilen, die es einzeln zu erkunden gelten sollte. Die Idee des späteren FrontierNav-Systems aus „Xenoblade Chronicles X“ war geboren – und zumindest eine der Schwierigkeiten, die der riesigen offenen Welt innewohnten, überwunden.

Trotzdem: Für die Spielfiguren sind die fünf Kontinente von Mira so irrwitzig weitläufig, dass Monolith Soft diesen Umfang den Spielern kaum zugemutet hätte, wäre da nicht die zweite Säule des Projektes gewesen. Dies sollten nämlich riesige Roboteranzüge sein, in die die Menschen hineinschlüpfen können, um laufend oder fliegend durch Mira zu reisen und im Kampf viel stärker zu sein. Die im finalen Spiel als „Dolls“ beziehungsweise in der westlichen Fassung als „Skells“ bezeichneten Mechs sind etwa fünf Mal so groß wie eine menschliche Spielfigur, sodass die enorme Größe der Spielwelt einen richtigen Sinn erfährt. So stellte das Studio sicher, dass die Skells nicht nur im Kampf, sondern auch eben in der Erkundung von Mira ein völlig neues Spielgefühl vermittelten. Aus der Perspektive eines Mechs sieht Mira eben ganz anders aus – und durch diese riesige Spielwelt zu fliegen, ist einfach atemberaubend.

Dass Mechs eine große Rolle spielen sollten, entschieden die Entwickler schon sehr früh. Kein Wunder, hatte Takahashi doch schon seit Langem ein Spiel erschaffen wollen, in welchem Mechs und Menschen in ein und derselben Welt koexistieren. 16 Jahre nach der Gründung von Monolith Soft hatte er dies jetzt endlich vollbracht.

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Diese Grafik veröffentlichte Monolith Soft Mitte 2011 für die Suche nach neuen Mitarbeitern. Gehört das schwer erkennbare Artwork im Hintergrund zu „Xenoblade Chronicles X“? Immerhin scheint es thematisch zum Spiel zu passen. Es wäre eines der frühesten bekannten Bildmaterialien zum Wii-U-Epos.

Monolith Soft betritt Neuland

Das alles in die Tat umzusetzen, stellte selbstverständlich eine riesige Herausforderung dar. Immerhin handelte es sich außerdem noch um das erste Spiel des Studios in HD-Grafik. Auch in dieser Hinsicht betrat Monolith Soft also Neuland – und setzte sich ebenfalls sehr ehrgeizige Ziele: Man wolle die Spieler mit dem ersten eigenen HD-Spiel überraschen und der Welt beweisen, dass die japanische Videospielindustrie in Hinblick auf die Technik nicht hinter der amerikanischen hinterherhänge, erzählte Lead Programmer Michihiko Inaba Mitte 2011. Scherzhaft fügte er hinzu, man wolle sogar an „The Elder Scrolls“-Entwickler Bethesda heranreichen. Monolith Soft habe aber bereits etwas Erfahrung in der HD-Entwicklung sammeln können, da es schon mit Nintendos damaligen Konkurrenzkonsolen experimentiert habe.

Das Interview, aus welchem wir zitieren, war zur Rekrutierung neuer Programmierer veröffentlicht worden. Immerhin musste das Programmiererteam wirklich alles geben, ging es doch darum, alles aus der Wii U herauszuholen und die größtmögliche Spielwelt zu realisieren, und das ohne jegliche Übergänge oder Ladezeiten. So veröffentlichte Monolith Soft Ende 2010 und Mitte 2011 mehrere Stellengesuche für ein Wii-U-Rollenspiel mit Mechs.

Kürzere Handlung, aber mehr Geschichte

Sobald die Grundlagen des Projektes halbwegs in Stein gemeißelt waren, begann sich Takahashi Gedanken um die Handlung zu machen. Schon bei „Xenoblade Chronicles“ stand am Anfang der Entwicklung die Idee der ungewöhnlichen Spielwelt, und erst darauf aufbauend entstand die monumentale Geschichte des Spiels. Für „Xenoblade Chronicles X“ schrieb Takahashi, der Genre-Fans für sein ursprünglich als Sechsteiler geplantes Sci-Fi-Epos „Xenosaga“ bekannt ist, so viel wie noch nie zuvor. „Ich arbeite mit Takahashi-san schon seit Langem zusammen“, sagte sein Kollege Koh Kojima, „aber ich habe ihn noch nie so viel für die Handlung eines Spiels schreiben gesehen. Es war, als schriebe er einen Roman.“

„Die Haupthandlung ist vielleicht kürzer als in ‚Xenoblade Chronicles‘", räumte Takahashi ein, doch dafür hätten die Quests jetzt viel mehr Tiefe als im Vorgänger. In einer frühen Besprechung hatte das Team noch geplant, etwa 30 Mal so viele Nebenmissionen einzubauen wie im Vorgänger, der seinerseits bereits Unmengen an Quests enthielt. Letztlich entschied man sich aber für Qualität statt Quantität: Die Anzahl der Nebenquests in „Xenoblade Chronicles X“ liegt so zwar etwa auf dem Niveau des Vorgängers, dafür steckt hinter den Aufgaben und ihrer Handlung jetzt wesentlich mehr Aufwand.

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Einige der Entwickler hinter „Xenoblade Chronicles X“, v.l.n.r.: Director Genki Yokota von Nintendo war gleichzeitig auch Projektleiter hinter „Fire Emblem Fates“; Koh Kojima, der Director des Spiels von Monoliths Seite, war auch bereits Projektleiter des Vorgängers gewesen; die Skriptautoren Kazuho Hyodo und Yuichiro Takeda; Studio-Mitgründer Tetsuya Takahashi war der Executive Director des Titels.

Eine Geschichte zweier Anime-Autoren

Takahashis Handlungsentwurf auszuarbeiten und das finale Skript des Spiels zu erstellen, war die Aufgabe von Yuichiro Takeda. Er ist als Autor von Animeserien bekannt und hatte bereits das Skript des ersten „Xenoblade“ verfasst. Bald aber merkte er, dass die Arbeitslast des aktuellen Projektes zu groß für eine Person war – immerhin oblag ihm auch die textliche Ausarbeitung sämtlicher Quests. So heuerte er als zusätzlichen Scriptwriter für „Xenoblade X“ Kazuho Hyodo an, einen unter anderem an „Gundam“ mitwirkenden Anime-Autor. Takeda und Hyodo, die sich bereits seit Längerem kannten, genossen bei ihrer Arbeit große Freiheiten und durften sogar neue Charaktere und Orte erfinden. Das Verfassen des Skripts inklusive der Quests dauerte insgesamt über anderthalb Jahre an.

Der Teetisch wird umgeworfen (aber nicht von Miyamoto)

Trotz mannigfaltiger Schwierigkeiten und Herausforderungen nahm das Projekt immer mehr an Form an. Doch Monolith Soft wurde im Fortschritt zurückgeworfen, als mitten in der Entwicklungsphase weite Teile des Spiels umgekrempelt werden mussten. Der Grund: Das Team hatte sich noch eine dritte Säule des Spiels überlegt – den Online-Modus. Und im Zuge dessen wollte das Studio einen vom Spieler erstellbaren Avatar als Spielfigur einsetzen. Das machte einige Änderungen am Spiel notwendig.

Was war der Grund für die Implementierung eines Online-Modus, wenn dieser nicht zu den ursprünglichen Projektspezifikationen gehörte? „Ich glaube, dass Rollenspiele allgemein für Einzelspieler gedacht sind“, erklärte Genki Yokota von Nintendo, ein weiterer Director des Titels. „Aber diesmal meinten wir, dass es sich etwas einsam anfühlen würde, ganz alleine in einer Open-World-Umgebung zu spielen. […] Um die Atmosphäre der Welt lebendiger zu gestalten, hielten wir es also für besser, einen Online-Modus hinzuzufügen, damit die Spieler sich verbunden fühlen.“

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„Xenoblade Chronicles X“ war in einer früheren Entwicklungsphase ein ganz anderes Spiel mit vorgegebenen Hauptcharakteren. Das japanische Artbook zum Spiel gewährt uns einen Blick auf diese: Der unbenannte junge Mann links wird als „Held“ bezeichnet und sollte offenbar der Protagonist sein. Der ebenfalls namenlose ältere Mann und die junge Dame Reina Sakuraba rechts gehörten demnach ebenfalls zur Haupttruppe. Nach der Änderung zum Avatar sind diese Figuren verworfen worden.

Ein nicht-so-richtig-Online-Modus

Diese Erklärung rechtfertigt unserer Meinung nach kaum den Aufwand, den die Entscheidung mit sich führte. Schließlich war das Projekt bis dato ein klassisches Rollenspiel mit fest vorgegebenen Protagonisten. Mit der Entscheidung für einen Avatar mussten die bisherigen Charaktere (siehe Bild) verworfen und die Handlung umgeschrieben werden. Takeda hat erstmals in seiner Karriere für einen Avatar schreiben müssen – und das merkt man dem Spiel auch an: Der stumme Protagonist mit dem Standard-Namen Cross wird immer wieder als einer der Schwachpunkte des fertigen Spiels benannt.

Und schließlich ruderten die Entwickler ja doch ein wenig zurück: „Wir mussten in Betracht ziehen, dass manche Spieler vielleicht Angst davor haben, mit anderen Spielern zu kommunizieren“, so Kojima. „Tatsächlich geht es mir selbst so!“ Statt eines klassischen Online-Modus verwirklichten die Entwickler darum etwas, was sie als „lose verbunden“ bezeichnen. Kojima erklärte, was das Team darunter verstand: „Eine Online-Erfahrung, bei der die Spieler nicht direkt miteinander interagieren, aber die Präsenz der anderen Spieler spüren können.“

So wird man selbst im Einzelspieler-Modus von „Xenoblade Chronicles X“ einem 32-köpfigen Team zugeordnet, mit dem man Missionen erledigen kann, und darf auch die Avatare anderer Spieler in die eigene Truppe aufnehmen. All das ist aber völlig optional – lose verbunden eben. Aber ob dieses System den großen Eingriff am Spiel wirklich rechtfertigt?

Die drei Säulen von „Xenoblade Chronicles X“ stehen jetzt jedenfalls endgültig fest. Bis zur Veröffentlichung des Spiels war es aber immer noch ein langer und harter Weg. Den Rest der Geschichte werdet ihr im zweiten Teil unserer Reportage erfahren – dort gibt’s dann auch die Quellenangaben.

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Zwei NPCs, die es nicht ins finale Spiel schafften: Emily sollte die Tochter von Präsident Maurice Chausson sein; die außerirdische Dame rechts heißt Neilnail.

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