Zehn Jahre ist es her, dass die Retro Studios – einst eines von Nintendos Vorzeige-Entwicklerteams – ihr letztes neues Spiel hervorgebracht haben: Donkey Kong Country: Tropical Freeze“. Bei seiner Ankündigung stieß das Wii-U-Spiel auf wenig Gegenliebe, erwarteten die meisten Fans von den Retro Studios doch nicht weniger als ein „Metroid Prime 4“. Doch anstelle eines halbgaren Aufgusses des vier Jahre zuvor veröffentlichten „Donkey Kong Country Returns“ lieferte der texanische Entwickler mit „Tropical Freeze“ eines der besten 2D-Jump’n’Runs aller Zeiten und einen wahren modernen Klassiker ab. Nachdem wir uns zuletzt bei „Inside Nintendo“ mit der Entwicklung des ersten „Donkey Kong Country“-Spiels befasst haben, ist diesmal der aktuellste Ableger an der Reihe.

Mario vs. Donkey Kong
2010 ließen die Retro Studios, die zuvor mit den drei „Metroid Prime“-Spielen brilliert hatten, in „Donkey Kong Country Returns“ auf der Wii mit Bravur die alten 16-Bit-Zeiten wieder aufleben. Schon bald nach Fertigstellung von „Returns“ begannen die Arbeiten an einem Nachfolger. Während „Returns“ von Grund auf binnen knapp zweieinhalb Jahren entwickelt worden war, benötigte das Team für „Tropical Freeze“ etwas mehr Zeit – und das, obwohl es auf viele Grundlagen zurückgreifen konnte.
Zum Teil hängt die längere Entwicklungszeit von „Tropical Freeze“ damit zusammen, dass sich die frühen Projektphasen mit der Zuarbeit an „Mario Kart 7“ überlappten. Im Dezember 2010 sprangen die Retro Studios bei der Entwicklung des 3DS-Rennspiels ein und übernahmen große Teile der Arbeiten. So werden dem Studio im ersten Jahr des Projekts kaum Ressourcen für das neue „Donkey Kong Country“-Spiel zur Verfügung gestanden haben.
Mittendrin statt nur von vorn
Am Konzept des Vorgängers wurde wenig geändert. In erster Linie wollte das Team einige noch nicht verwirklichte Ideen umsetzen, zu denen insbesondere die 3D-Kamera zählt. „Tropical Freeze“ ist zwar weiterhin ein reguläres 2D-Jump’n’Run, das mitunter mit verschiedenen Ebenen spielt, bietet nun aber in manchen Leveln immersivere Ansichten und spektakuläre Kamerafahrten. Diese ursprünglich für „Returns“ geplante Funktion stand schon sehr früh für das neue Projekt fest. Nintendo und die Retro Studios waren sichtlich sehr stolz auf diese Neuerung und wiesen oftmals in Interviews auf sie hin.
Eine weitere große Neuerung neben der rotierenden und freieren 3D-Kamera sind zwei zusätzliche Partner. Während der titelgebende Gorilla in „Returns“ noch ausschließlich mit Diddy Kong unterwegs ist, stehen in „Tropical Freeze“ zwei weitere beliebte Mitglieder des Kong-Clans als Partnerfiguren mit einzigartigen Fähigkeiten zur Auswahl – Dixie und Cranky Kong. Hinzu kam eine neue Spezialattacke für Donkey Kong und seine Partnerfigur, die bei einer voll aufgeladenen Leiste ausgeführt werden kann. Und dann wären da noch die Unterwasserlevels, die in „Returns“ durch völlige Abwesenheit geglänzt hatten.

Im Spiel lassen sich unzählige Concept Arts freischalten, die einen interessanten Einblick hinter die Kulissen gewähren.
Eine neue Idee aus den 80ern
Etwas unscheinbarer kommt eine weitere Neuerung daher, die das Spielprinzip aber nicht minder verfeinert. Die Rede ist davon, dass Donkey Kong nun an bestimmten Stellen Objekte aus dem Boden herausziehen kann – Items wie Bananen und Herzen, aber auch Gegenstände, die er tragen und werfen kann. Mancherorts zieht der starke Gorilla sogar Teile der Levelarchitektur aus dem Boden oder hievt mal eben ein gewaltiges Schiff in die Luft. Diese Idee stammt von Produzent Kensuke Tanabe und geht auf sein Regiedebüt „Super Mario Bros. 2“ zurück.
Space Invaders statt Viehkinger?
Während es den Tikis aus „Returns“ als Gegnern ein wenig an Charisma mangelt, verleihen die – wie sie in der deutschen Version heißen – Viehkinger „Tropical Freeze“ mehr Charakter. Da in den „Donkey Kong Country“-Abenteuern reale Tierarten eine große Rolle spielen, schaute sich das Team zu Beginn der Entwicklung nach kräftigen Tieren als Bösewichten um und kam dabei auf die Idee, ein Walross als Bossgegner einzubinden. Davon ausgehend überlegte man sich schließlich, dass sich das neue Spiel ganz auf Seetiere konzentrieren solle. Von dort her kam dann schließlich die Verbindung zu Wikingern.
Eine sehr frühe alternative Idee für die Handlung hat vor wenigen Monaten der als Grafiker beteiligte Eric Kozlowsky in einem umfangreichen Videointerview verraten. Demnach hätte „Tropical Freeze“ direkt an das Ende von „Returns“ anknüpfen sollen, indem Außerirdische vom Mond die Erde erobern und Donkey Kong sie aufhalten muss. Allerdings handelte es sich dabei nicht um ein konkretes Konzept, sondern nur um einen von jenen zahlreichen ersten Einfällen, mit denen man zu Beginn eines neuen Projekts nun einmal gedanklich zu experimentieren pflegt. Nur wenig später stand bereits das finale Konzept mit den Viehkingern endgültig fest.

Konzeptgrafiken zu den Viehkingern sowie zu einem restlos verworfenen Weltraum-Konzept. Ob dies in irgendeiner Form mit der frühen Handlungsidee zum Spiel zusammenhängt?
Keine Zeit für Spielereien
„Tropical Freeze“ war das erste HD-Spiel für die Retro Studios. Die hochauflösende Grafik und die im Vergleich zur Wii stark erhöhte Rechenleistung der Wii U flossen insbesondere in einen Detailaspekt ein: Das sehr detaillierte und realistische Fell der Primatenprotagonisten. Niemand Geringeres als der damalige Nintendo-Präsident Satoru Iwata hat diesen Aspekt angeregt. Doch davon abgesehen kommen die einzigartigen Funktionen der Wii U praktisch gar nicht zum Einsatz.
Der Touchscreen des GamePad ist während des Spielens standardmäßig deaktiviert. „Wir möchten, dass alle nicht nur das Gameplay genießen, sondern sich auch auf die Grafiken auf dem Bildschirm konzentrieren können“, erklärte Produzent Tanabe Ende 2013 in einem Interview. „Daher haben wir entschieden, keine GamePad-Funktionen einzubinden, die von den Spielenden verlangen würden, häufig zwischen den beiden Bildschirmen zu wechseln.“ Mit Blick auf das umständliche und unpräzise Schütteln der Wii-Fernbedienung, das in „Returns“ häufig zum Einsatz kam, dürften die meisten Fans anspruchsvoller Jump’n’Run-Kost aber dankbar gewesen sein, dass das Team diesmal ganz von solchen Spielereien absah.
Interessanterweise war für „Tropical Freeze“ ein Achievement-System geplant, das in Verbindung mit Nintendos hauseigenem sozialen Netzwerk „Miiverse“ hätte funktionieren sollen – ganz ähnlich wie bei einigen anderen Wii-U-Spielen. Inmitten der Daten des Spiels fand sich eine umfangreiche Auflistung mit Namen und Beschreibungen der geplanten Achievements. Demnach sollte das System über 60 einzelne Errungenschaften umfassen. Die Texte dazu wirken final, sodass unklar bleibt, warum dieses System letztlich verworfen wurde. Im fertigen Spiel beschränken sich die Onlinefunktionen auf das Hochladen der eigenen Level-Bestzeiten.
Die Teamkongstellation
Die zwei leitenden Köpfe hinter der Entwicklung von „Tropical Freeze“ waren Production Director Ryan Harris und Creative Director Vince Joly, zwei Retro-Studios-Veteranen, die zuvor auch an „Returns“ sowie an „Mario Kart 7“ mitgewirkt hatten. Bryan Walker, der Projektleiter des Vorgängers, war hingegen nicht am neuen Spiel beteiligt. Was „Donkey Kong“-Schöpfer und Nintendo-Chefproduzent Shigeru Miyamoto anbelangt, so war er deutlich weniger involviert als bei „Returns“, für das er recht viel Input beigesteuert hatte.
Abgesehen von „Mario Kart 7“ haben die Retro Studios während der Entwicklung von „Tropical Freeze“ an keinem weiteren Spiel gearbeitet. Die gesamte Studiobelegschaft war in das Projekt eingebunden. Wie viele Mitarbeitende das Studio damals umfasste, ist nicht ganz klar, laut Abspann müssen es aber um die 100 Personen gewesen sein. Tatkräftige Unterstützung erhielten die Texaner vom in Minnesota ansässigen Studio Monster Games, das zuvor „Returns“ auf den 3DS portiert hatte. Etwa 25 Mitarbeitende und damit ebenfalls ungefähr das gesamte Studio waren an Spieldesign, Grafik und Programmierung von „Tropical Freeze“ beteiligt.

Art Director Ryan Powell (links) und Creative Director Vince Joly (rechts), hier im „Iwata fragt“-Interview zu „Mario Kart 7“. „Tropical Freeze“ war eines von wenigen größeren Nintendo-Spielen, das kein „Iwata fragt“-Interview erhalten hat. Deswegen ist über die Entwicklung des Spiels leider nur relativ wenig bekannt.
Der Tropen-Trommler trudelt ein
Für die Musik von „Tropical Freeze“ gelang es den Retro Studios, David Wise zu verpflichten. Wise war zwar nicht der alleinige Komponist der ursprünglichen „Donkey Kong Country“-Trilogie gewesen, hatte ihr musikalisch aber am deutlichsten seinen Stempel aufgedrückt. Seit der Gründung von Rare war er exklusiv für das britische Studio tätig, kehrte ihm aber 2009 den Rücken. Retro-Studios-Präsident Michael Kelbaugh, der an der Lokalisierung der alten „Donkey Kong Country“-Spiele mitgewirkt hatte, nutzte diese Gelegenheit und fragte Wise telefonisch für das neue Projekt an.
Der im britischen Nottingham lebende Wise stattete zu Beginn der Arbeiten den Retro Studios in Austin, Texas einen Besuch ab. Er traf sich unter anderem mit Shigeru Miyamoto, Scott Petersen, Audio Supervisor bei den Retro Studios, sowie Nintendo-Komponist Kenji Yamamoto, der wie schon beim Vorgänger als Musik-Supervisor fungieren sollte. Nach diesem Treffen, bei dem es um die grundsätzliche Ausrichtung des Spiels und seiner Musik ging, arbeitete Wise selbständig von seinem heimischen Studio aus am Soundtrack.
Einblick in die Arbeit von David Wise
„Ich verbrachte die meisten Tage in meinem Studio in Nottingham in meiner eigenen kleinen musikalischen Welt, ganz ähnlich, wie ich damals bei Rare gearbeitet habe“, erklärte Wise. Er erhielt zunächst ein Storyboard mit simplen Vorversionen sämtlicher Level und fing dann an, zu diesen Eindrücken passende Musik zu komponieren. Über montägliche Onlinemeetings mit Scott Petersen blieb er mit dem Entwicklungsteam in Kontakt. Wise äußerte, dass die Retro Studios ein ähnliches Arbeitsethos wie damals Rare gehabt hätten, was ihm die Arbeit sehr erleichtert habe.
Während das erste „Donkey Kong Country“ Wise zufolge zwölf oder 16 Stücke umfasste, waren es bei „Tropical Freeze“ etwa 100. Der Komponist legte großen Wert darauf, den musikalischen Stil der SNES-Klassiker beizubehalten und behutsam in die moderne Welt zu verfrachten. Insgesamt arbeitete er 21 Monate am Soundtrack von „Tropical Freeze“. Die einzelnen Stücke beanspruchten, je nach Komplexität, meist zwischen drei Tagen und zwei Wochen an Arbeit.

Komponist David Wise bei einem Auftritt 2024 (Foto: Gage Skidmore, Wikimedia Commons).
Donkey Kongs Dschungel-Beat
Für manche Teile des Soundtracks hatte Wise einen 1940er-Jahre-Big-Band-Jazzklang vor Augen, den er bereits 20 Jahre zuvor für das erste „Donkey Kong Country“ angedacht hatte, damals aber aus technischen Gründen nicht wie gewünscht umsetzen konnte. Neben Synthesizer-Klängen sind in „Tropical Freeze“ immer wieder auch echte Instrumente zu hören, teils von Wise selber gespielt. Für „Grassland Grove“ (deutsche Version: „Präriepolka“), eines von vielen musikalischen Highlights des Spiels, wurden sogar die Stimmen einiger Nintendo-Mitarbeitender mit Chorerfahrung aufgenommen. Als seine Lieblingskomposition bezeichnete Wise übrigens eine frühere Version von „Seashore War“ („Verschollen im Eis“), die ursprünglich für die Savannen- statt wie im fertigen Spiel für die Eiswelt bestimmt war.
Von beschwingten Jazz- und Funk-Klängen über tropisch angehauchte Musik bis hin zu treibenden Metal-Klängen für intensive Bosskämpfe ist alles dabei. Dieser Reichtum an musikalischer Abwechslung in Kombination mit der ungemein dichten Atmosphäre sorgt dafür, dass der Soundtrack von „Tropical Freeze“ Wise’ Arbeit aus den 1990ern nicht nur das Wasser reicht, sondern noch deutlich überbietet. Sehr subtil greifen manche Stücken zudem beliebte Melodien aus den 16-Bit-Klassikern auf. Das Resultat gilt insgesamt als einer der besten Videospielsoundtracks, der von nur einer Person komponiert worden ist.
Ein musikalisches Meisterwerk
Die Rückkehr des ursprünglichen „Donkey Kong Country“-Komponisten war eine der für Fans im Vorfeld wichtigsten Ankündigungen rund um „Tropical Freeze“. Auf diesen Umstand angesprochen, zeigte sich Wise bescheiden: „Wir haben wahrscheinlich nicht geahnt, dass es eine so große Wirkung haben würde. Eine Menge Leute sind darauf angesprungen. Hätte es allerdings das Originalspiel nicht gegeben – zusammen mit der Qualität des neuen Spiels von Retro –, hätte der neue Soundtrack nichts bedeutet.“
„Am Ende haben wir alles in das Spiel gesteckt“, erklärte Wise in einem anderen Interview. „Ich benutze drei Computer, und das sind keineswegs langsame Computer. […] Es ist erstaunlich, wie viel Technik wir einsetzen mussten und wie viel Rechenleistung wir brauchten, um die Retro-Sounds zu erzeugen, die den Rest der Serie ausmachen.“ Erstaunlich ist freilich auch, wie geradezu verschwenderisch das Spiel mit seiner Musik umgeht. Manche Stücke sind im normalen Spielverlauf, wenn man nicht bewusst innehält, für nur wenige Sekunden zu hören, und im spielinternen Musikplayer kann man sich nur eine sehr kleine Auswahl der Musik anhören. Separat veröffentlicht wurde der „Tropical Freeze“-Soundtrack bedauerlicherweise nie.

Konzeptgrafiken zur Savannen-Welt.
Opfer einer ungesunden Erwartungshaltung
Die Ankündigung von „Tropical Freeze“ auf der E3 2013 stand unter keinem guten Stern, denn wider Erwarten stieß der Nachfolger des gelungenen Retro-Revivals „Donkey Kong Country Returns“ auf nur wenig Gegenliebe. Um zu verstehen, warum das so war, müssen wir die Jahre vor der Ankündigung kurz Revue passieren lassen. Alles begann im April 2011, kurz bevor Nintendo erstmals die Wii U offiziell bestätigte. Als damals die Gerüchteküche brodelte, machte auch eine Meldung über die Retro Studios die Runde. Sie arbeiteten, wie es hieß, an einem Spiel für den Nachfolger der Wii, an einem „Projekt, von dem jeder möchte, dass wir es machen“.
Ob das Gerücht nun wahr oder frei erfunden war, es sorgte für eine enorme Vorfreude auf das nächste Retro-Studios-Projekt, die in den nächsten Monaten und Jahren durch weitere Meldungen immer weiter angefacht wurde. So etwa, als das Studio Ende 2012 in ein größeres Bürogebäude umzog, oder immer wenn bekannt wurde, dass ein weiterer Mitwirkender namhafter Spiele und Hersteller wie Naughty Dog nun für die Retro Studios tätig sei. Bei der generell hohen Mitarbeiter-Fluktuation der US-amerikanischen Spieleindustrie lassen sich aus solchen Meldungen zwar nur schwerlich Rückschlüsse über konkrete Spieleprojekte ziehen. Das hielt Fans aber nicht davon ab, nicht weniger als Nintendos Antwort auf Spiele wie „Uncharted“ zu erwarten.
Infolge einer Interviewaussage von Miyamoto rechneten Fans damals sogar mit einem neuen „Zelda“-Teil aus dem Hause Retro Studios, was Miyamoto selber aber im Juni 2012 dementierte. Über Jahre hinweg gab es keine konkreten Hinweise zum neuen Projekt der Texaner, und gerade vor diesem Hintergrund stiegen die Erwartungen ins Unermessliche. Man ersehnte sich von den Retro Studios als einem der wenigen westlichen Nintendo-Studios einen Actionkracher, welcher das auf die damals arg schwächelnde Wii U bringen sollte, was viele Spielende bei Nintendo-Eigenproduktionen vermissten: Fotorealistische Grafik, Gewalt und eine intensive Handlung.
Der Gorilla lässt sich Zeit
Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, dass ein weiteres 2D-Jump’n’Run der reichlich übertriebenen Erwartungshaltung schlichtweg nicht entsprach. Wie dem auch sei: Noch auf der E3 2013 wurden David Wise als Komponist sowie Dixie Kong als neue Begleiterfigur bestätigt. Außerdem deutete Nintendo an, dass es eine dritte, noch geheime Begleiterfigur geben werde. „Tropical Freeze“ sollte im Dezember auf den Markt kommen, doch Anfang Oktober gaben die Japaner eine Verschiebung auf Frühjahr 2014 bekannt, da noch mehr Zeit für die Entwicklung benötigt werde.
„Das Spiel selber war fast fertig“, äußerte Produzent Tanabe im Rückblick über die Verschiebung, „daher hatten wir mehr Zeit für den Feinschliff an Bereichen, die nicht direkt mit dem Gameplay zusammenhängen.“ Ein wenig konkreter äußerte sich Studioboss Kelbaugh. Man habe die zusätzlichen Wochen in Partikel- und Grafikeffekte, Animationen und Artwork investiert. Insofern konnte er resümieren: „Die zusätzliche Zeit war wirklich ein Segen für uns.“ Auch wies Kelbaugh darauf hin, dass Wise und Yamamoto Zeit für weitere Verbesserungen am Soundtrack hatten. In der Tat kann man in Videomaterial von der E3 2013 an manchen Stellen noch leicht abweichende Musikstücke hören.

Produzent Kensuke Tanabe (Mitte) und Retro-Studios-Präsident Michael Kelbaugh (rechts) auf der E3 2013 (Foto: Wikimedia Commons).
Vom Affenopa verhöhnt
Trotz – oder vielmehr gerade wegen – dieser Entwickleraussagen kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, als sei die Verschiebung von „Tropical Freeze“ nicht absolut nötig gewesen, sondern habe in erster Linie mit Nintendos Veröffentlichungsstrategie zusammengehangen. Denn mit „Super Mario 3D World“ hatte der Konzern bereits einen mutmaßlichen Verkaufsschlager für das Weihnachtsgeschäft 2013 in petto und konnte in Anbetracht des nur dünn besetzten Release-Kalenders Donkey Kongs neues Abenteuer als eine Art Lückenfüller für das Frühjahr 2014 einsetzen.
Ein weiteres Mal sorgte Nintendo am 8. Dezember 2013 mit „Tropical Freeze“ für Unmut bei den Fans. Im Vorfeld der Spike Video Game Awards hatte der Konzern eine große Ankündigung versprochen. Doch anstelle einer Weltpräsentation eines AAA-Titels handelte es sich bei der vermeintlichen Sensation lediglich um die Enthüllung von Cranky Kong als dritter Begleiterfigur für „Tropical Freeze“.
Ein mäßiger Erfolg und eine zweite Chance
Als „Tropical Freeze“ am 21. Februar 2014 in Europa und Nordamerika auf den Markt kam, war der anfängliche Frust der Nintendo-Fans jedoch größtenteils verflogen. Schnell wurde deutlich, dass das Spiel seinem bereits gelungenen Vorgänger in sämtlichen Bereichen überlegen war. Entsprechend erhielt das (erst) fünfte Spiel der Retro Studios Bestwertungen. Die positive Aufnahme durch die Kritikerwelt schlug sich jedoch nicht wirklich in den Verkaufszahlen nieder. Insgesamt ging „Tropical Freeze“ in der ursprünglichen Wii-U-Fassung nur knapp über zwei Millionen Mal über die Ladentheken. Damit blieb es weit hinter seinem erfolgreichen Vorgänger zurück und schaffte es nicht auf die Liste der zehn erfolgreichsten Wii-U-Spiele.
Doch wie auch viele andere gute Wii-U-Spiele, die sich wegen der erfolglosen Hardware nur schlecht verkauft hatten, sollte „Tropical Freeze“ auf der Nintendo Switch eine zweite Chance erhalten. Am 4. Mai 2018 kam das Spiel in einer geringfügig erweiterten Version für die Hybridkonsole auf den Markt. Mit Funky Kong wurde eine neue Spielfigur hinzugefügt, die eine Art einfaches Spiel ermöglicht. In Japan überbot die Switch-Version bereits nach zwei Wochen die gesamten Verkaufszahlen der Wii-U-Version. Die weltweiten Gesamtverkaufszahlen der Wii-U-Fassung holte die Switch-Portierung noch im Dezember 2018 ein.

Das im Spiel freischaltbare Artwork zeigt auch viele komplett verworfene Ideen, so etwa eine an kykladische Architektur angelehnte Welt oder der rechts abgebildete Bosskampf.
Eine ungewisse Zukunft
Die Switch-Portierung von „Tropical Freeze“ war ebenfalls von den Retro Studios entwickelt worden. Davon abgesehen hatte das Studio in den vier Jahren nach „Tropical Freeze“ kein neues Spiel hervorgebracht; es ist noch nicht einmal offiziell ein neues Projekt vorgestellt worden. Die Entwickler hatten zwar direkt nach der Veröffentlichung des Affenabenteuers geäußert, dass es einige Ideen gegeben habe, die sie nicht verwirklichen konnten. Tanabe etwa bekundete, dass er gerne noch weitere Tierbegleiter eingebunden hätte. Doch einen Nachfolger hat „Tropical Freeze“ bis heute nicht erhalten.
Ohnehin hatte sich Tanabe als der für die Zusammenarbeit mit den Retro Studios zuständige Nintendo-Produzent damals sehr offen hinsichtlich möglicher künftiger Projekte gezeigt. Dass die Retro Studios zunächst an den „Metroid Prime“-Spielen und dann an der „Donkey Kong Country“-Reihe gearbeitet haben, zeige, so Tanabe, dass man gern verschiedene Genres und Spiele entwickle, anstelle immer beim Gleichen zu bleiben. Es sei daher möglich, dass die Texaner nicht nur „Donkey Kong Country“, sondern „ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten“ für das nächste Projekt in Betracht ziehen.
Keine Entwicklung im Affenzahn
Unmittelbar nach Fertigstellung von „Tropical Freeze“ haben die Retro Studios die Arbeiten an einem neuen Spiel aufgenommen, wie Präsident Kelbaugh und Produzent Tanabe im Februar 2014 bestätigten. Anderthalb Jahre später sorgte Tanabe jedoch für Verwirrung, als er äußerte, dass er nicht wisse, um was für ein Spiel es sich handle. Von offizieller Seite hat es die nächsten Jahre über keine weiteren Informationen gegeben.
Als auf der E3 2017 „Metroid Prime 4“ angekündigt wurde, war die Überraschung groß, dass das Projekt nicht von den Retro Studios stamme. Der Stammentwickler der Reihe wurde erst Anfang 2019 nach einem Neustart mit dem Projekt betraut, das vor wenigen Wochen zum ersten Mal in einem Trailer präsentiert wurde. Das 2023 veröffentlichte „Metroid Prime Remastered“ fungierte in der Zwischenzeit immerhin als Lebenszeichen für die Retro Studios.
Zwischen „Tropical Freeze“ 2014 und dem Beginn der Arbeiten an „Metroid Prime 4“ 2019 müssen die Retro Studios an mindestens einem großen Spiel gearbeitet haben, das sang- und klanglos eingestampft worden ist. Es ist eher nicht anzunehmen, dass es sich dabei um ein weiteres „Donkey Kong Country“ gehandelt hat. Warum ein solches bis heute nicht entwickelt wurde, muss offen bleiben. So bleibt nur zu hoffen, dass „Tropical Freeze“ irgendwann doch noch fortgesetzt wird – vielleicht ja nach Fertigstellung des langersehnten Samus-Abenteuers. Die Fußstapfen, in die ein solcher Nachfolger treten müsste, wären zwar nicht gerade klein. Doch sowohl Donkey Kong als auch die Retro Studios haben sich in den vergangenen Dekaden als sehr ausdauernd erwiesen.
Quellen: „Wii U Developer Direct – Donkey Kong Country: Tropical Freeze @E3 2013“, Nintendo auf YouTube, 11. Juni 2013; Jeremy Parish: „Donkey Kong Country Tropical Freeze Full E3 Interview“, USgamer, 27. Juni 2013; Ben Reeves: „Donkey Kong Country: Tropical Freeze: Nintendo Answers Our Burning Questions“, Game Informer, 24. Dezember 2013; Joe Skrebels: „Monkey Men: talking to Michael Kelbaugh and Kensuke Tanabe“, Official Nintendo Magazine, 19. Februar 2014; Damien McFerran: „Month Of Kong: Tropical Freeze Composer David Wise On Working With The Ape Again“, Nintendo Life, 28. Februar 2014; Emily Gera: „Synth, big band jazz and the remaking of Donkey Kong Country's amazing sound“, Polygon, 5. März 2014; „DKC Tropical Freeze – interview with David Wise“, VGMpire, 27. Dezember 2015; „DKC: Tropical Freeze 10th Anniversary Interview With Retro Studios Devs“, KIWI TALKZ auf YouTube, 21. Februar 2024; The Cutting Room Floor. Die im Spiel freischaltbaren Konzeptgrafiken sind zu finden im Artikel „List of extras in Donkey Kong Country: Tropical Freeze“ bei mariowiki.com. Zusätzliche Quellen sind direkt im Text verlinkt.
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