Keine Sorge – der Titel dieses Berichts ist absichtlich so überspitzt und provozierend formuliert. Doch dass die intern bei Nintendo
entwickelten Spiele für gewöhnlich eine besonders hohe Qualität bieten,
lässt sich kaum bestreiten. So waren die bei Metacritic bestbewerteten
Spiele der Weihnachtssaison 2013 nicht etwa PS4- oder
Xbox-One-Exklusivtitel, sondern The Legend of Zelda: A Link Between
Worlds“ und „Super Mario 3D World“, beide von Nintendo Entertainment
Analysis & Development (EAD) entwickelt. Generell sind die
Leistungen dieses Studios beachtlich: Die drei bestbewerteten Spiele
aller Zeiten, sieben der zehn meistverkauften Spiele aller Zeiten,
revolutionäre Spiele wie „Super Mario Bros.“, „Super Mario 64“, „Ocarina
of Time“ oder „Wii Sports“ – sie alle stammen von diesem Studio. Wie
also ist es möglich, dass eine interne Entwicklungsabteilung über 30
Jahre hinweg derart konstant hochqualitative, erfolgreiche und
einflussreiche Spiele hervorbringt?
In diesem Bericht möchten wir versuchen, Antworten auf diese Fragen zu
geben. In diesem Zusammenhang sei auch auf unsere vorherigen Berichte
zur EAD hingewiesen:
Inside Nintendo 4: Die Entwicklungsstruktur der EAD, Inside Nintendo 10: Die Geschichte der EAD, Inside Nintendo 20: Was entwickelt Nintendo EAD derzeit? (2013).

„Super Mario Galaxy“ ist laut Metacritic das zweitbeste Spiel aller Zeiten – direkt nach „Ocarina of Time“
Eine kleine Geschichtsstunde
Zurück geht die EAD auf Shigeru Miyamoto, der nach dem unerhofften,
gewaltigen Erfolg von „Donkey Kong“ Chefentwickler einer neuen
Entwicklungsabteilung wurde. Als Manager wurde der ehemalige
Toei-Animator Hiroshi Ikeda angeheuert. Weitere Urgesteine der EAD
wurden ebenfalls von Toei, von anderen Nintendo-Abteilungen oder direkt
von der Universität angestellt. Das ursprüngliche Kernteam bestand nur
aus einer Handvoll Mitarbeiter, neben Miyamoto aus dem genialen
Designer, Takashi Tezuka, dem Starkomponisten Koji Kondo sowie einer
kleinen Programmierergruppe des externen Unternehmens Systems Research
& Development. Das hinderte die Abteilung jedoch nicht daran, höchst
erfolgreiche Projekte hervorzubringen. „Super Mario Bros.“ und „The
Legend of Zelda“ etwa, die gleichzeitig von den gleichen Personen
entwickelt wurden, sind Beispiele dafür.
Springen wir über 25 Jahre in die Zukunft: Wir schreiben das Jahr 2013
und Nintendo hat gerade „Super Mario 3D World“ und „The Legend of Zelda:
A Link Between Worlds“ veröffentlicht – die inzwischen zigsten Ableger
dieser zwei Erfolgsreihen. Beide Spiele wurden wieder einmal von der EAD
entwickelt und sind gerade aus Sicht der Spielekritik ein sehr großer
Erfolg. Allerdings waren das nicht die einzigen Spiele, die die EAD
entwickelt hat. Tatsächlich arbeitet das Studio heutzutage
schätzungsweise an circa 14 Projekten gleichzeitig – die gesamte
Studiobelegschaft jedoch umfasst nur ungefähr 500 Mitarbeiter. So groß
ist in etwa das Entwicklerteam hinter einem einzigen neuen „Assassin's
Creed“-Teil!
Der effiziente Vogel fängt den Wurm
So viele Spiele mit so hoher Qualität mit einer vergleichsweisen kleinen
Mitarbeiterzahl zu entwickeln – das lässt auf eine große Effizienz
schließen. Tatsächlich ist die EAD in sieben
Softwareentwicklungs-Abteilungen gegliedert; fünf davon in Kyoto, zwei
in Tokyo. Jede dieser Unterabteilungen ist für bestimmte Serien
zuständig und hat einen Produzenten als Abteilungsleiter und ein paar
feste Designer. Das dritte EAD-Team ist beispielsweise für die
„Zelda“-Spiele verantwortlich. Der Großteil der EAD-Mitarbeiter wird
jedoch flexibel und unabhängig von den Teams dem Projekt zugeordnet, das
derzeit Mitwirkende braucht. Denn in den frühen Phasen der
Spieleentwicklung werden nur wenige Mitarbeiter benötigt, während die
späten Produktionsphasen von bis zu über 100 Personen bewerkstelligt
werden müssen. Da ist eine effiziente Mitarbeiterzuordnung unabdingbar.
Bei der Entwicklung von Spielen kann man grob folgende Aufgabengebiete
unterteilen: Produktionsleiter und Planer, Grafiker und Künstler,
Programmierer, Komponisten und Tontechniker sowie Übersetzer und
Testspieler. Mitarbeiter des ersten Aufgabengebietes sind meist fest den
EAD-Gruppen zugeordnet, während die Grafiker häufiger flexibel
ausgetauscht werden. Übersetzung und Testen wird extern vorgenommen,
hauptsächlich von den Nintendo-Filialen in Übersee und dem Mario Club.
Für das Programmieren und das Komponieren hingegen hat die EAD eigene,
gruppenübergreifende Teams. Auch dies trägt maßgeblich zur hohen
Effizienz bei, da man so jedem Projekt die benötigten Entwickler
bereitstellen kann.
Für das Programmieren hat die EAD zunächst einmal eine eigene
Unterabteilung, die nur dafür zuständig ist, Entwicklungsumgebungen,
Engines und Ähnliches zu programmieren. Viele EAD-Spiele basieren auf
der gleichen, für das jeweilige Projekt angepassten Engine;
beispielsweise startete „Ocarina of Time“ auf Basis des
Programmiergerüstes von „Super Mario 64“. Die EAD-Programmierabteilung
ist für den Großteil der Spiele des Studios verantwortlich, es gibt aber
noch eine zweite Programmiererinstanz. Dabei handelt es sich um ein
externes Unternehmen namens Systems Research & Development (SRD),
das im gleichen Gebäude untergebracht ist und hauptsächlich die „Zelda“-
und 2D-„Mario“-Spiele programmiert; siehe unseren
vorherigen Bericht zu SRD.
In den letzten Jahren wurde die Entwicklung von Spielen immer
aufwändiger und der Übergang in die HD-Generation stellte für Nintendo
eine weitere Herausforderung dar. Die EAD geriet zu Beginn der 3DS- und
Wii U-Ära deutlich in Verzug, da es an Manpower mangelte. So kam es,
dass beispielsweise die Retro Studios an „Mario Kart 7“ mithalfen. Um
die große Effizienz auch für die Zukunft zu gewährleisten, schuf
Nintendo in den letzten Jahren neue Studios, deren einzige Aufgabe darin
besteht, die EAD zu unterstützen. Beispiele sind 1-UP Studio, das an
„Super Mario 3D Land“ und „Super Mario 3D World“ mithalf, sowie das
neugegründete Kyoto-Studio von Monolith Soft, das an zahlreichen Spielen
an der Grafik mithalf, beispielsweise „Pikmin 3“ oder „A Link Between
Worlds“.

Miyamoto, 1999; Bildquelle: Nintendo World Report
Die Philosophien des Miyamoto
Wo andere große Studios viele Mitarbeiter aufweisen, die sich nur mit
der internen Verwaltung beschäftigen, hat die EAD nur zwei übergreifende
Manager, nämlich Tezuka und Miyamoto – letzterer gilt allerdings als
ausgesprochen schlechter Manager. Unbestreitbar jedoch ist seine
Brillanz als Spieleentwickler. Sein Job sieht vor, jede EAD-Produktion
zu überwachen und Ratschläge zu geben. Das ist ein weiterer großer Grund
für unsere Leitfrage. Miyamoto und Tezuka sind die alten Hasen, die
ihre hart erworbene Erfahrung an die ihnen unterstellen Produzenten
weitergeben, welche dieses Wissen wiederum in ihrem Team verbreiten.
Inzwischen hält Miyamoto diesen Vorgang der „Miyamotoisierung“ für so
fortgeschritten, dass er meint, theoretisch in den Ruhestand treten zu
können.
Miyamotos Philosophien machen den Großteil von Nintendo Spielen aus. Ein
Beispiel ist, dass bei der Entwicklung eines Spiels stets dessen
Spielprinzip Vorrang haben sollte; Technik und Handlung sind von
geringerer Priorität. Immerhin muss ein Videospiel durch ein gutes
Spielprinzip Spaß machen – die beste Grafik und die beste Handlung
machen ein langweiliges und eintöniges Spiel nicht einfach so gut.
Außerdem schreibt Miyamoto den Aspekt der Zugänglichkeit groß, um eine
möglichst große Zielgruppe ansprechen zu können. Der Produzent ist dafür
bekannt, diese Prinzipien deutlich zu vertreten – nicht selten fordert
er eine komplette Änderung eines neuen Projektes, was im Nintendo-Jargon
als „Uppending the tea table“ bekannt ist.
Lust auf Experimente?
Bis das perfekte, eine möglichst große Zielgruppe ansprechende
Spielprinzip feststeht, ist viel Experimentieren von Nöten. Dies
resultiert in sehr langen Entwicklungszeiten: „Skyward Sword“ benötigte
fünf Jahre, „A Link Between Worlds“ vier, davon gingen drei
beziehungsweise zwei Jahre für Experimente drauf. Die EAD tüftelt im
Verborgenen nicht selten jahrelang an Ideen und Prototypen. Das
Mii-Konzept etwa war über 20 Jahre (!) in der Entwicklung, das Konzept
für „Pikmin“ und „Super Mario Galaxy“ geht auf „Super Mario 128“ von
2000 zurück (
wir berichteten). Dylan Cuthbert erklärte 2011, dass es
ziemlich schwer sei, Nintendo Vorschläge zu unterbreiten, da Nintendo zu
fast jeder möglichen Idee bereits Prototypen habe – diese aber nur in
den seltensten Fällen in vollwertige Spiele weiterentwickle:
Das Problem mit Nintendo ist, dass sie so viel internes Personal haben,
sodass, was auch immer für eine Idee du ihnen zeigst, sie sehr
wahrscheinlich bereits einen Prototyp für diese Art Spiel intern
entwickelt haben. Du zeigt ihnen etwas, das sie bereits gesehen haben.
Das ist unheimlich. Ich habe ihnen [Nintendo] in der Vergangenheit
mehrere Male Material gezeigt, von dem ich dachte, dass es total neu und
originell sei und sie gehen weg, kommen zurück und sagen „eigentlich
haben wir diesen Prototyp bereits letzte Woche gemacht“ und es ist exakt
das gleiche Spiel. Aber sie vollenden niemals etwas. Der absolute
Großteil schafft es nie bis an die Öffentlichkeit.
Wenn ihr euch jetzt fragt, wer Cuthbert ist: Als einer der wenigen
westlichen Entwickler durfte er einige Jahre lang bei der EAD arbeiten
und war maßgeblich an „Star Fox“ beteiligt. Später gründete er sein
eigenes Studio Q-Games, das unter anderem „Star Fox 64 3D“ entwickelt
hatte. Cuthbert ist in mehrerlei Hinsicht ein besonderer
(Ex)-EAD-Mitarbeiter: Der Großteil der Angestellten ist japanischer
Herkunft und kein einziges EAD-Mitglied hat einen öffentlich bekannten
Twitter-Account. Ein weiterer Unterschied ist, dass Cuthbert im
Gegensatz zu dem Großteil seiner vielen Kollegen die Abteilung wieder
verlassen hat. In Japan ist es generell nicht unüblich, sein ganzes
Leben im gleichen Unternehmen zu verbringen, doch gerade bei Nintendo
ist dieser Trend sehr deutlich – Miyamoto arbeitet seit nunmehr 36
Jahren dort.
Daher verfügt die EAD über ein nahezu unerschöpfliches Reservoire an
Erfahrung. Fast alle Angestellten, die heute in leitenden und
überwachenden Positionen arbeiten, sind schon seit sehr vielen Jahren
angestellt. Besonders in den späteren Phasen hilft das Feedback der
alten Hasen und ermöglicht einen letzten Feinschliff. Doch die Mischung
macht es: Junge Entwickler bringen neuartige Ideen ein und regen
Experimente an, aus denen dann eventuell innovative Spiele entstehen.
Immerhin stammen völlig neuartige Spielerfahrungen wie „Wii Sports“ und
„Wii Fit“ ebenso von der EAD.
Zum Abschluss dieses Berichts präsentieren wir euch noch eine
Beschreibung der Arbeitsatmosphäre innerhalb des EAD-Studios. Da die
meisten Angestellten was diesen Aspekt betrifft sehr verschlossen sind,
verwundert es kaum, dass wir dazu einen weiteren Ex-Angestellten aus den
Westen zu Worte kommen lassen, nämlich Giles Goddard. So wie auch
Cuthbert arbeitete Goddard an „Star Fox“ mit und verließ später wieder
die EAD, um sein eigenes Unternehmen Vitei zu gründen, welches sich
unter anderem für „Steel Diver“ verantwortlich zeichnet. Er
beschrieb
die Studioatmosphäre während der Arbeiten an „Super Mario 64“ wie folgt:
Es war ein Großraum-Büro, doch jeder hatte seine eigene, kleine Kabine.
Abhängig davon, an welchen Projekten sie arbeiten, verschieben sie sich.
Reihenweise sitzen die Leute da und arbeiten, doch wenn ein Projekt
entwickelt wird, greift das Kernteam im Wesentlichen die Programmierer
und Grafiker ringsum, sodass beispielsweise die „Super Mario“-Gruppe von
der Mitte nach außen expandiert. […] Nicht sprechen! Besonders in
japanischen Unternehmen ist es sehr, sehr leise. Mitunter kommen kleine
Gruppen von Programmierern oder Grafikern zusammen und unterhalten sich,
und irgendein Manager kommt her, wirft ihnen ein Blick zu und sie
setzen sich wieder hin und sind still. Es ist überhaupt nicht so wie in
britischen oder US-amerikanischen Unternehmen.

Yoshiaki Koizumi (links) und Koichi Hayashida (rechts) stellen „3D World“ auf der E3 vor – im Katzenkostüm. Foto: Jan Graber
Fazit
Fassen wir zusammen: Erfahrung, Tradition, besondere Philosophien,
Experimentieren und eine effiziente Entwicklungsstruktur – dies sind
alles Aspekte, die unserer Ansicht nach Nintendos intern produzierte
Titel zu dem machen, was sie sind. Sie grenzen die EAD und da dieses
Studio den größten und wichtigsten Teil der Nintendo-Spiele entwickelt,
damit auch das gesamte Spielerepertoire des japanischen Publishers von
dem anderer namhafter Spieleproduzenten ab. Ob zum Guten oder zum
Schlechten, das ist wiederum der persönlichen Meinung eines Jeden
überlassen – insbesondere, dass die EAD-Spiele häufig wenig Wert auf
Handlung oder einen fotorealistischen Grafikstil legen und, so der
Vorwurf, häufig nicht genug Neues wagen, wird von manchen Spielern
kritisiert. Wie man auch immer dazu stehen mag; dass die EAD
beeindruckende Spiele hervorgebracht hat, kann man nicht leugnen.
Wie steht ihr zu der Leitfrage? Da es zu dieser Frage keine objektive
Antwort geben kann und unser Bericht somit nur subjektiv ist, ist eure
Meinung zu der Qualität von Nintendos Spielen und dem „Warum“ umso
wichtiger!