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Inside Nintendo 43: Das Mysterium von Super Mario Bros.

von

Tobias Schmitz

Zu wohl keinem anderen Videospiel kann man derart viel schreiben, wie zu Super Mario Bros.“ Der ab 1985 für das NES veröffentlichte Klassiker
prägte die Videospielindustrie entscheidend und begründete die „Super
Mario“-Reihe. Einige Leute – man mag sie „Nerds“ nennen – haben die
Programmierung des Spiels unter die Lupe genommen und so über die Jahre
zahlreiche Glitches im Spiel finden können. Außerdem ist die
Entstehungsgeschichte des Spiels außerordentlich gut dokumentiert.
Trotzdem sind noch längst nicht alle Hintergründe bekannt. So fanden wir vor ein paar Wochen heraus, dass nicht drei, sondern nur zwei
Programmierer am Spiel beteiligt waren.



Am 13. September 1985 erschien „Super Mario Bros.“ in Japan für das
Famicom. Irgendwann später kam es dann im Westen für das NES heraus –
doch wann genau das war, ist unbekannt. Trotz intensivster Recherchen
ist es unmöglich, den westlichen Veröffentlichungstermin für „Super
Mario Bros.“ zu datieren; genauer als 1985/1986 geht's leider nicht. Zu
diesem Zeitpunkt sieht so aus, als könne man daran nichts ändern. Wir
beschäftigen uns in diesem Artikel aber mit noch einem anderen Mysterium
rund um „Super Mario Bros.“. Eines, mit dem sich unseres Wissens nach
bislang noch niemand genauer auseinandergesetzt hat.

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Das Phantom-Spiel

Jedes Kind weiß: „Super Mario Bros.“ ist ein NES-Spiel. Doch ganz so
eindeutig, wie dies zunächst scheint, ist es womöglich gar nicht. Auf
Seite 300 seiner außerordentlich umfangreichen und gut recherchierten
„Ultimate History of Video Games“ schreibt der Videospielhistoriker
Steve L. Kent nämlich:


Super Mario Bros. did very well in Japanese arcades and attracted some
attention to the failing U.S. arcade industry. By the end of the year
[1985, Anm. d. Red.], Nintendo engineers suceeded in creating a home
version of Super Mario Bros. for the Famicom. […] Although the home
version of Super Mario Bros. was not identical to the arcade game, it
was an extremely close approximation.

In japanischen Arcade-Hallen war Super Mario Bros. sehr erfolgreich und
richtete Aufmerksamkeit auf die absinkende amerikanische
Arcade-Industrie. Gegen Ende des Jahres 1985 gelang es
Nintendo-Entwicklern, eine Heimversion von Super Mario Bros. für das
Famicom zu erschaffen. […] Obwohl die Heimversion von Super Mario Bros.
nicht identisch zum Arcade-Spiel war, war sie eine extrem gute
Annäherung.




Kent spricht hier ganz eindeutig davon, dass „Super Mario Bros.“
ursprünglich ein Arcade-Spiel war und erst später für das Famicom/NES
portiert wurde. Das widerspricht allem, was wir wissen. Offiziell heißt
es nämlich, das Spiel war von Anfang an für das Famicom entwickelt
worden. Tatsächlich gibt es zwar eine Arcade-Version des Spiels, diese
hört aber auf den Namen „Vs. Super Mario Bros.“ und erschien 1986 – also
ganz sicher nicht vor der Originalversion. Eine andere selbständige
Version des Spiels für Spielhallen existiert nicht, denn sonst würde
dieses Wissen doch zum 1x1 der Nintendo-Nerds gehören. Es gibt unseres
Wissens nach kein „Super Mario Bros.“ als Arcade-Automat, es gibt keine
eindeutigen Beweise dafür – oder etwa doch?


Kein Irrtum

Könnte es sein, dass sich Kent in dieser Sache einfach geirrt hat? Da er
eine sehr verlässliche Quelle ist, wäre dies allerdings ein sehr
ungewöhnlicher Irrtum. Tatsächlich wiederholt er seine Behauptung an
einer anderen Stelle. Auf Seite 306 seines Buches schreibt er, dass
„Super Mario Bros.“ in Spielhallen beliebter waren als Segas
Arcade-Automat „Hang On“ von 1985. Liest man bei dieser Passage zwischen
den Zeilen, so impliziert Kent auch hier, dass das Spiel ursprünglich
für Spielhallen herauskam. Oder handelt es sich um ein Missverständnis
und er bezieht sich in seinem Buch auf „Vs. Super Mario Bros.“? In einem Blogeintrag von 2009 widersprach Kent alledem. Er äußerte klipp und klar, dass 1984 eine
Arcade-Version von „Super Mario Bros.“ erschienen sei, bei der es sich
ausdrücklich nicht um die „Vs.“-Variante handle.


[A]n arcade version of the game predates the NES version and the
well-known VS version. The original arcade version shipped in 1984.

Eine Arcade-Version des Spiels datiert vor der NES- und der bekannten
Vs.-Version. Die ursprüngliche Arcade-Version wurde 1984 ausgeliefert.




Weder in diesem Eintrag noch in seinem Buch nennt Kent eine Quelle für
seine Behauptungen. Außerdem belegen im Rahmen eines
Iwata-fragt-Interviews veröffentlichte offizielle
Entwicklungsunterlagen, dass die Arbeiten von „Super Mario Bros.“ erst
Anfang 1985 begannen – das Spiel kann nicht 1984 ausgeliefert worden
sein.



Die durch offizielle Dokumente unterstützten Fakten widersprechen also
eindeutig den quellenlosen Behauptungen des ansonsten so verlässlichen
Videospielhistorikers. Damit scheint der Fall klar zu sein – Kent irrt
sich und eine frühe Arcade-Version von „Super Mario Bros.“ hat es nie
gegeben. Immerhin gibt es keine weiteren Quellen für seine These. Im
Internet fanden sich zwar einige anonyme Nutzer, die sich an eine
Arcade-Version des Klassikers erinnern wollen. Dabei handelt es sich
aber höchstwahrscheinlich um „Vs. Super Mario Bros.“. Und überhaupt sind
die spontan geäußerten Erinnerungen irgendwelcher anonymer Menschen
keine verlässliche Quelle. Damit ist der Fall doch klar – oder aber…?

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Der Titelbildschirm von „Vs. Super Mario Bros.“ Man beachte den Copyright-Hinweis 1986.

Detektivforschung

Tatsächlich sind wir auf drei weitere Quellen gestoßen, die von einer
ursprünglichen „Super Mario Bros.“-Version als Arcade-Automat sprechen. Im 1994 veröffentlichten „Phoenix: The Fall & Rise of Videogames“ etwa schreibt Leonard Herman auf Seite 154 Folgendes:


[T]he home version of Super Mario Bros. looked and played exactly like its arcade counterpart.

Die Heimversion von Super Mario Bros. sah so aus und spielte sich exakt wie ihr Arcade-Gegenstück.




Hat sich Herman vielleicht vertan und meinte „Vs. Super Mario Bros.“?
Das ist unwahrscheinlich, denn dieses Arcade-Spiel spielt sich eben
nicht exakt so, wie die Heimversion. „Vs. Super Mario Bros.“ ist nämlich
als Zweispielertitel ausgelegt und enthält einige andere Level und
weitere Unterschiede. Ein Versehen kann es auch nicht sein, denn kurz
zuvor bezeichnet er „Super Mario Bros.“ als „Arcade-Nachfolger“ von
„Mario Bros.“



Unsere dritte Quelle ist eine deutschsprachige. Es handelt sich um eine Rezension von „Super Mario Bros.“ in einer 1987 erschienenen Sonderausgabe der
Happy Computer. (Übrigens eine hervorragende Quelle, um die Frage nach
dem europäischen Veröffentlichungstermin zumindest teilweise zu klären –
leider konnten wir nicht ausfindig machen, wann genau das Heft
erschien. Vermaledeit!) Hier erwähnt der Redakteur Heinrich Lenhardt
wieder eine frühe Arcade-Version, die der NES-Fassung aber nicht exakt
gleichen soll.



Spielhallenbesucher werden dieses Programm schon kennen, das nun in
einer nahezu identischen Umsetzung für das Nintendo-Videospiel vorliegt.




Und noch ein weiterer Beleg: Der Chefredakteur der britischen
Videospielzeitschrift Edge Tony Mott behauptete 2011 in seinem Werk
1001 Video Games You Must Play Before You Die“, dass „Super Mario
Bros.“ ursprünglich ein Arcade-Spiel
war. Natürlich geht auch er nicht weiter darauf ein, noch nennt er eine
Quelle. Zwar ist davon auszugehen, dass er die Information von einer
der vorherigen Quellen übernommen hat. Aber selbst dann hätte einem
Videospieljournalisten seines Kalibers die große Bedeutung dieser
Aussage bewusst sein müssen.


Die tatsächliche Arcade-Version

Schon öfters in diesem Bericht haben wir „Vs. Super Mario Bros.“
angesprochen. Kent bezieht sich offensichtlich nicht auf dieses Spiel,
während Hermans Aussage ebenfalls nicht zu diesem Spielhallen-Automaten
passt. Um abschließend beurteilen zu können, was die jeweiligen Autoren
wirklich mit ihren Aussagen meinten und ob sie sich eventuell mit „Vs.
Super Mario Bros.“ vertan haben, fehlen uns einfach viel zu viele
Informationen. Wann genau kam der Arcade-Automat heraus, in welchen
Regionen war er erhältlich, und wie verbreitet und erfolgreich war er?
Dank des Copyright-Eintrags auf dem Titelbildschirm wissen wir, dass der
Automat 1986 erschien. Da der „Vs.“-Automat Level aus „The Lost Levels“
enthält, welches Mitte 1986 auf den Markt kam, wird man „Vs. Super
Mario Bros.“ wohl auf Mitte 1986 einordnen können.



Damit würde „Vs. Super Mario Bros.“ zumindest in Europa tatsächlich vor
der NES-Version spielbar gewesen sein – sofern es denn überhaupt in
europäischen Spielhallen existierte. Falls ja, könnte sich Lenhardt
darauf beziehen. Übrigens ist auch unbekannt, wann das NES-„Super Mario
Bros.“ in Europa erschien. Da damals Nintendo of Europe noch nicht
existierte, gab es keine einheitliche Europa-Veröffentlichung des
Klassikers. In den meisten Ländern war es aber offenbar ab 1987
verfügbar.



Wie dem auch sei; Klarheit bezüglich unseres Themas kann nur eins
verschaffen: Bei den Autoren der drei Quellen nachzufragen. Wir haben
versucht, Lenhardt, Herman und Kent, der heute übrigens SciFi-Romane
schreibt, zu kontaktieren – alles erfolglos. Leider werden wir
daher das Mysterium nicht lüften können.

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Werbeflyer zu „Vs. Super Mario Bros.

Das letzte Urteil

Vier voneinander unabhängige Quellen erwähnen kurz eine vor der
NES-Version zu datierende Spielhallen-Umsetzung von „Super Mario Bros.“ –
mehr Hinweise darauf gibt es nicht. Es ist uns nicht gelungen,
sämtliche dieser Erwähnungen auf Missverständnisse zurückzuführen.
Insofern kann die Existenz einer frühen Arcade-Version des Spiels nicht
widerlegt werden. Sie ist aber doch sehr unwahrscheinlich. Gäbe es diese
Version nämlich, dann müsste man doch eindeutige Beweise dafür finden.
Immerhin sprechen wir hier nicht von einem x-beliebigen Spiel, sondern
von dem erfolgreichsten Videospiel aller Zeiten. Möglich wäre es, dass
„Super Mario Bros.“ in einem ganz frühen Stadium als Arcade-Spiel
vorgesehen war (so war es immerhin mit „The Legend of Zelda“ der Fall),
doch da in den ausführlichen Entwicklerinterviews zum Spiel nicht die
leiseste Andeutung dazu gemacht wird, müssen wir wohl auch diesen
Lösungsversuch verwerfen.



Die Existenz eines frühen „Super Mario Bros.“ für Spielhallen kann also
weder bestätigt noch falsifiziert werden. Da sie allem unseren Wissen
widerspricht, ist es kaum möglich, dass etwas Wahres an dieser
Behauptung ist. Andererseits stimmt dies wirklich nachdenklich: Nur 30
Jahre nach Erscheinen des am meisten verbreiteten Videospiels überhaupt
können wir einfache Fragen nicht beantworten, einfache Probleme nicht
lösen – dazu gehören neben diesem Phantom-Arcade-Automaten natürlich die
westlichen Veröffentlichungstermine des Spiels.