Die Geschichte der ersten Nintendo-Konsolen und -Handhelds – der Color TV-Game- und der Game & Watch-Reihe – haben wir euch zwar bereits in früheren Berichten vorgestellt, doch diese Systeme dürften heute nur noch für Nostalgiker interessant sein. Zumindest für viele der älteren Leser unserer Seite wird stattdessen das Nintendo Entertainment System die erste Konsole des Mario-Konzerns mit einer persönlichen Bedeutung sein. Die als NES abgekürzte 8-Bit-Konsole bescherte uns zahlreiche Spieleklassiker wie Super Mario Bros.“, „The Legend of Zelda“, „Metroid“ und viele, viele andere. Doch wie ist die Kultkonsole entstanden? Wir befassen uns nun mit der Geschichte hinter der Konsole, die in Japan als Famicom bekannt ist!

Ein Blick in die Zukunft
Fast ein Jahrhundert nach der Firmengründung hat Nintendo 1977 seine erste Spielekonsole auf den Markt gebracht. Die Color TV-Game-Geräte avancierten zu den japanischen Marktführern, doch da sie noch keine austauschbaren Module boten, gingen sie recht bald wieder in die Bedeutungslosigkeit über. Die Game & Watch-Handhelds ab 1980 waren danach der nächste große Verkaufsschlager. Zwar umfassten sie ebenfalls nur ein Spiel pro Konsole, wurden aber diesmal international vertrieben. Dank „Donkey Kong“ erreichte Nintendo 1981 auch den weltweiten Erfolg im Arcade-Sektor.
Doch der damalige Konzernchef Hiroshi Yamauchi bewies abermals seine beeindruckende Gabe, die Zukunft von Nintendos Geschäften zu prognostizieren. Er sah, dass auch die Game & Watch-Spiele kein langfristiger Erfolg sein würden, und erkannte Potenzial in der Idee einer neuen Heimkonsole.
Der unmögliche Auftrag des exzentrischen Chefs
Mit der Entwicklung einer neuen Heimkonsole beauftragte Yamauchi im November 1981 seinen Chefingenieur Masayuki Uemura. Der 1943 geborene Japaner arbeitete ursprünglich bei Sharp und war später für die Color TV-Game-Reihe verantwortlich gewesen. 1979 ernannte Yamauchi ihn zum Leiter der neugegründeten zweiten Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Konzerns (R&D2). Uemuras Abteilung hatte damals gegenüber dem von Gunpei Yokoi (1941–1997) geleiteten R&D1-Team das Nachsehen: Immer mehr von Uemuras Mitarbeitern wurden Yokois Team zugewiesen, das mit Game & Watch große Erfolge feierte und Nachschub wie am Fließband lieferte.
Dem damals also unterbeschäftigten Uemura teilte Yamauchi seine Zielsetzungen für die neue Heimkonsole mit, und diese hätten anspruchsvoller kaum sein können. Eine Konsole mit austauschbaren Modulen sollte entwickelt werden. Yamauchis Plan sah vor, dass ausschließlich Nintendo Spiele für die Konsole herstellt und dadurch eine Monopolstellung erlangt. So weit, so gut. Doch zugleich forderte der exzentrische Unternehmer, dass das System die etablierte Konsolenkonkurrenz technisch um mindestens ein Jahr überbieten sollte. Zugleich aber sollte die Konsole bloß 9.800 Yen kosten, etwa 75 $.
Yamauchi forderte also eine Konsole, die dem Markt um ein Jahr voraus sein, aber gleichzeitig nur einen Bruchteil der Konkurrenz kosten sollte. Wir nehmen an, dass sich Uemura als Projektleiter über diese Vorgaben sehr gefreut haben muss.

Nintendos Heimkonsolen-Guru Masayuki Uemura war der Chefentwickler des Famicom-Projektes. (Bildquelle)
Partnersuche
Nintendo suchte nun nach einem Partner, der die Technik der Konsole herstellen sollte. Mit dem Elektronikriesen und Uemuras ehemaligem Arbeitgeber Sharp arbeitete Nintendo zwar bereits am Game & Watch-Projekt zusammen, doch um dieses Geschäft nicht einzuschränken, war für das neue Projekt ein neuer Partner von Nöten. Die meisten Unternehmen lehnten jedoch ab mit der Begründung, keine Kapazitäten frei zu haben.
Schließlich fanden sich Nintendo und Ricoh für das Projekt zusammen. Das war etwa zwei Monate, nachdem Uemura den Auftrag erhalten hatte. Yamauchi versprach dem neuen Partner, dass sich die herzustellende Konsole mindestens drei Millionen Mal verkaufen werde, sodass sich das Unterfangen für Ricoh lohne. Dieses Verkaufsziel war für damalige Verhältnisse absurd hoch angesetzt: Alle Color TV-Game-Konsolen zusammen hatten sich nur knapp über 1,5 Millionen Mal verkauft!
Ricoh stellte ein fünfköpfiges Team zusammen, das gemeinsam mit R&D2 die neue Nintendo-Heimkonsole entwickeln sollte. Der Leiter jenes Ricoh-Teams, Hiromitsu Yagi, war für Nintendo kein Unbekannter: Zuvor hatte er bei Mitsubishi gearbeitet, wo er zuständig für die Zusammenarbeit mit Nintendo an Color TV-Game gewesen war. Die übrigen am GAMECOM-Projekt beteiligten R&D2-Mitarbeiter waren überwiegend junge Nintendo-Angestellte. Uemura wurde bei den Planungen maßgeblich von Katsuya Nakakawa unterstützt, der erst seit etwa 1979 beim Unternehmen arbeitete.
Stark wie ein Gorilla: Wie Donkey Kong eine Konsole inspirierte
Unter dem Projektnamen GAMECOM begann im Juni 1982 schließlich die Entwicklung der neuen Konsole. Um sich für die konkreten technischen Komponenten der Konsole festzulegen, die Yamauchis paradox scheinende Vorgaben zu erfüllen vermochten, verbrachte Uemura bis zu 18-stündige Arbeitstage mit Ingenieuren und Programmierern.
Das Nintendo-Team hatte klare Vorstellungen davon, welche technische Leistung die neue Konsole erreichen sollte. Ziel war es, dass „Donkey Kong“ auf der Konsole lauffähig ist. Shigeru Miyamotos Spieledebüt wurde somit zum technischen Ausgangspunkt des GAMECOM-Projektes. Ein weiterer Einfluss war die technisch eindrucksvolle Konkurrenzkonsole ColecoVision, die Nintendo kurz zuvor vorgestellt worden war und dem Team zusätzlichen Ansporn verlieh.
Ricoh schlug vor, den damals in Japan wenig bekannten Prozessor 6502 als Gehirn der neuen Konsole einzusetzen. Der Vorschlag fußte nicht nur darauf, dass Ricoh den 6502 lizenziert hatte; der Prozessor war nämlich kleiner und günstiger und stellte zudem ein Hindernis für potenzielle Wettbewerber dar. Einen großen Haken hatte die Sache allerdings: Bei Nintendo wusste niemand mit dem 6502 umzugehen, weil die bisherigen Arcade-Spiele des Konzerns mit dem Konkurrenzprozessor Z80 liefen.
Die ersten drei Monate verbrachten R&D2 und Ricoh damit, die Technik der Konsole zusammenzustellen. Im Oktober 1982 war dieser Prozess schließlich abgeschlossen. Das Team stellte einen Prototyp her und überprüfte dessen Funktion, um sicherzustellen, dass die gewählte Technikkonfiguration einwandfrei funktioniert.

Der erste Prototyp des Famicom von Ende 1982 (Bildquelle)
Die ersten Spiele und der Prozessor-Professor
Erst jetzt begann das Team, sich mit der Gehäusegestaltung und der Software für die Konsole zu befassen. Wegen des neuen Prozessors galt es zunächst, von Null anzufangen und Entwicklungstools zu programmieren. Dafür waren die R&D2-Mitarbeiter Takao Sawano und Satoshi Yamato zuständig. Beide können auf bemerkenswerte Karrieren zurückblicken: Sawano arbeitet seit 1972 bei Nintendo und ist heute Leiter der EAD-Programmierungs-Abteilung, während Yamato heute Verwaltungsratsmitglied und Leiter der Marketing-Abteilung des Konzerns ist.
Zu den ersten für die Konsole entwickelten Spielen zählen Portierungen wie „Donkey Kong“. Für die Entwicklung dieser Titel heuerte Nintendo einen Programmierer namens Toshihiko Nakago an: Auch er stieg die Karriereleiter steil auf und ist heute Präsident des Unternehmens Systems Research & Development, das noch heute für Nintendo Spiele programmiert.
Die Entwicklung der ersten Spiele für das spätere Famicom war ein langwieriger Prozess, da die Arcade-Spiele mit dem Z80-Prozessor liefen und auf den neuen Prozessor angepasst werden mussten. Ab Frühjahr 1983 gingen die Arbeiten dann wesentlich schneller von statten. Der Grund dafür war Shuhei Kato, der im April eingestellt wurde und erfahren im Umgang mit dem 6502 war. Wie ein Lexikon kannte er sich mit dem Prozessor aus; er brachte dem restlichen R&D2-Team bei, wie man richtig für den Prozessor programmiert und stand seinen Kollegen stets mit Rat und Tat zur Seite.
Joystick oder Steuerkreuz?
Ebenfalls ab Oktober 1982 entstand das Gehäusedesign. Zuständig dafür waren Uemura, Nakakawa und Masayuki Yukawa. Die Spezifikationen sahen vor, dass die Konsole weder einem Spielzeug noch einem Computer ähnele. Die Module sollten so groß wie Audiokassetten sein, was letztlich jedoch nicht ganz erreicht werden konnte. Auf Yamauchis Wunsch hin erhielt das Gehäuse der Konsole eine ungewöhnliche weiß-rot-Färbung. Und außerdem war damals noch geplant, dass der Controller der Konsole einen Joystick erhält.
Abwegig war das natürlich nicht: Als Standard-Eingabegerät eines Arcade-Automaten war der Joystick auch auf Controllern damaliger Spielekonsolen heimisch. Doch Uemura erkannte einige Probleme in einem Joystick als Steuerelement, etwa eine potenzielle Verletzungsgefahr für kleine Kinder. Sawano schlug stattdessen das Steuerkreuz vor. Diese plus-förmige Taste war erst 1981 von Gunpei Yokoi erfunden und erstmals in einigen Game & Watch-Geräten eingesetzt worden. Sawano war einer der Entwickler der Steuerkreuz-Handhelds gewesen, weshalb er sich als eifriger Verfechter des Steuerkreuzes entpuppte.
Das Team war zunächst wenig von Sawanos Vorschlag begeistert, doch der Ingenieur konnte seine Kollegen rasch überzeugen. So erhielt die Konsole als Steuerelement das legendäre Steuerkreuz und so steuerte auch der Game Boy-Erfinder Yokoi etwas zum Projekt bei, obwohl er Leiter einer ganz anderen Abteilung war. Das sollte übrigens nicht Yokois einzige Beteiligung am GAMECOM-Projekt sein: Auf ihn geht außerdem ein Hebel zur Entnahme der Steckmodule zurück. Die Modulentnahme hätte natürlich auch ohne diesen Hebel von statten gehen können. Yokoi schlug den Hebel einzig deswegen vor, weil er meinte, dass Kinder so bereits Spaß mit der Konsole haben könnten, bevor diese überhaupt angeschlossen sei.

Das Famicom in seiner finalen Form inklusive Controllern. Statt Steuerkreuzen war zunächst ein Joystick geplant, doch Yokois Erfindung setzte sich durch. Von ihm stammt außerdem der rote Hebel zur Modulentnahme in der Mitte der Konsole. (Bildquelle)
Aus GAMECOM wird Famicom
So finalisierte sich die Konsole allmählich – Technik, Gestaltung, Entwicklungstools und erste Spiele waren vollendet. Doch einen finalen Namen für das GAMECOM hatte das Team noch nicht auserkoren. Für den endgültigen Namen gab es mehrere Vorschläge. Es setzte sich „Famicom“ durch. Der Name steht für „Family Computer“ und stammt von Uemura, der von damals in Japan aufkommenden Begriffen wie „Home Computer“ inspiriert wurde. Die Idee, das Ganze so geschickt abzukürzen, stammt von Uemuras Frau.
Von Kyoto über ganz Japan bis auf die ganze Welt
Im November 1981 hatte Uemura den Auftrag erhalten, die Entwicklung war im Juni 1982 gestartet und ein weiteres Jahr später war das Projekt vollendet. Nintendo stellte das Famicom im Juni 1983 offiziell mehreren japanischen Handelsketten vor, im Juli kam die Konsole schließlich auf den Markt. Mit 14.800 Yen war die Konsole jedoch teurer als die ursprünglich von Yamauchi geforderten 9.800 Yen. Daher erhoffte sich Nintendo, durch den Verkauf der zugehörigen Spiele einen Gewinn einfahren zu können.
Fast zwei Jahre waren inzwischen vergangen, doch das ist nur ein Teil der Geschichte der ersten großen Nintendo-Konsole. Das Famicom erhielt nämlich noch interessante Erweiterungen und erschien schließlich im Rest der Welt als Nintendo Entertainment System, um den ganzen Globus wie im Sturm zu erobern.
Wie sich die Konsole auf dem Markt schlug, wie Nintendo sie erweiterte, wie sie international erschien und welche Bedeutung sie hat, das heben wir uns für den nächsten „Inside Nintendo“-Bericht auf. Freut euch darauf zu erfahren, wie das Famicom kurz nach seiner Veröffentlichung fast wieder hätte vom Markt genommen werden müssen und wie es in Amerika fast von Atari vertrieben worden wäre!

Aufnahmen aus der Herstellung des Famicom (Bildquelle)
Unsere Quellen für diesen Bericht: David Sheff, Game Over, 1993, S. 28–36; Masaharu Takano, How the Famicom Was Born, Nikkei Electronics, 1994–1995, Teile 6–8 (englische Übersetzung bei GlitterBerri.com); Iwata fragt: Super Mario Bros. 25. Jahrestag, Teil 2: NES & Mario, 1. Videospiele im heimischen Wohnzimmer (Interview mit Masayuki Uemura, 2010)