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Inside Nintendo 75: Von Tofu zu Tintenfisch – die Splatoon-Story

von

Dr. Tobias Schmitz

Bei Splatoon“, der neuen Spielemarke aus Nintendos internen EAD-Studios, handelt es sich ausgerechnet um einen Shooter – ein Genre, das heutzutage stark umkämpft ist und in dem Nintendo kaum Erfahrung aufweisen kann. Der riskante Schritt zahlte sich jedoch redlich aus, denn neben dem neuartigen Spielkonzept, das gerade im Kontext der häufig spielerisch einander ähnlichen Shooter ziemlich innovativ daherkommt, und der gelungen Umsetzung überzeugt „Splatoon“ auch durch grundsolide Verkaufszahlen. Lest nun die Geschichte hinter dem Spiel!

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Die leitenden Entwickler hinter „Splatoon“, v.l.n.r.: Programming Director Shintaro Sato, Art Director Seita Inoue, Director Tsubasa Sakaguchi, Director Yusuke Amano und Produzent Hisashi Nogami


Die Ruhe nach dem Sturm

Als die Wii U Ende 2012 auf den Markt kam, taten sich ein paar Entwickler von Nintendos EAD-Abteilung zusammen, die zuvor an der Konsole und deren Launchtiteln mitgearbeitet hatten. Vier dieser Herrschaften waren Hisashi Nogami, der die Arbeiten am Menü der Wii U geleitet hatte, der „Nintendo Land“-Art-Director Tsubasa Sakaguchi, „New Super Mario Bros. U“-Programmierer Shintaro Sato sowie Seita Inoue, der am Grafikdesign des Wii U-Menüs beteiligt gewesen war.



„Nachdem es etwas ruhiger um die Entwicklung [der Wii U] geworden war, versammelte ich [die Teammitglieder] alle und begann dieses Projekt“, berichtete Nogami von den Ursprüngen von „Splatoon“. „Ich sagte: ´Lassen Sie uns eine ganz neue Art von Spiel entwickeln, bei dem man sich keine Gedanken darüber machen muss, ob es zu bereits bestehenden Spielgenres passt.`”


Es kann nur Eine geben

Neben weiteren, namentlich nicht bekannten Mitarbeitern umfasste Nogamis handverlesenes Team für das neue Videospiel ihn selbst, den Leiter der zweiten EAD-Abteilung, als Produzent, Sakaguchi und „New Super Mario Bros. 2“-Director Yusuke Amano als gemeinsame Projektleiter, Sato als leitender Programmierer und Inoue als Art Director. Das kleine Team sollte ein völlig neues Spiel entwickeln; auf ein Genre legte man sich zu Beginn gar nicht erst fest.



„[A]m Anfang versuchten wir gar nicht, einen neuen Charakter zu entwickeln“, betonte Amano. „Uns ging es vorrangig um die Erschaffung einer neuen Spielstruktur.“ Es ging zu Beginn tatsächlich bloß um eine Idee für ein neues Spielkonzept. Dieses hätte letztlich auch in einer bereits bestehenden Spielereihe eingearbeitet werden können. Bei Nintendos EAD-Abteilung steht nämlich zunächst die Funktion im Vordergrund, erst dann geht es um das Design.



Über einen Zeitraum von sechs Monaten traf sich Nogamis kleines Team fast täglich für eine Brainstorming-Sitzung. Es ging einzig und allein um Ideen für das Projekt, denn um ein völlig neues Spiel entwickeln zu können, bedarf es zunächst einer völlig neuen und zugleich guten Idee. Über 70 Ideen kamen im Laufe dieses überaus langen Brainstorming-Prozesses zusammen.

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Ein Screenshot von Shintaro Satos Prototyp, der sich gegen alle anderen Ideen für das neue Spiel durchsetzen konnte. Es ist also die allererste Version von „Splatoon“.


Tofu War statt Turf War

Von diesen 70 Ideen konnte sich bloß eine einzige durchsetzen. Die Wahl fiel auf einen von Sato programmierten Prototyp, bei dem weiße und schwarze Blöcke in einem monochromen Labyrinth mit Tinte spritzen, um ihr Territorium zu markieren. Weil es dem Prototyp einzig um das Spielkonzept ging, nutzte Sato einfache Platzhalter. Als Spielfiguren kamen daher Blöcke zum Einsatz, die wie Tofu-Würfel aussehen. Abseits des kruden Designs hatte es dieser Prototyp aber richtig in sich, denn er ermöglichte bereits 4-vs.-4-Online-Kämpfe, wie sie das Herzstück von „Splatoon“ bilden. Weil Satos Grundidee ausgereift und bereits komplett spielbar war, entschieden sich Nogami und sein Team dafür, diese Idee weiterzuverfolgen.



„Im Zentrum stand die Idee des `Versteckens´“, erörterte Sato, der somit der Erfinder des „Splatoon“-Spielkonzeptes ist. „Zu dieser Zeit war der Kartenbildschirm noch derart gestaltet, dass man die 3D-Umgebung aus einer Art Top-Down-Perspektive betrachtete. Wenn der Tofu also oben auf der Tinte entlang glitt, dann fügte er sich optisch so in das Bild ein, dass man ihn nicht mehr erkennen konnte.“ Damit der Tofu-Block auch in der 3D-Ansicht in seinem Revier nicht erkennbar ist, wurde die Funktion implementiert, dass der Block in seiner eigenen Tinte flach wird.


Die Würfel sind gefallen

Ein Shooter, bei dem es auf die Eroberung von Boden ankommt und die Kämpfer sich in ihrem Revier verstecken können – das Grundkonzept von „Splatoon“ stand damit schon fest. Das war Mitte 2013. Nun konnte die eigentliche Entwicklungsarbeit beginnen, denn aus dem simplen Prototypen musste erst ein vollständiges und veröffentlichungsfähiges Spiel werden. Das kleine Planungsteam wurde zu diesem Zwecke zu einem vollständigen Entwicklerteam aufgestockt. Es stießen Programmierer und Grafiker, Planer und Tontechniker quer aus allen EAD-Abteilungen hinzu. Außerdem wirkten etwa 20 Mitarbeiter des „Xenoblade Chronicles“-Studios Monolith Soft an der Grafik mit. Etwa 85 Personen umfasste somit das gesamte Entwicklerteam hinter „Splatoon“.

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Wirf die Tinte nicht ins Korn!

Doch dem Projekt standen noch große Probleme bevor. Denn auch wenn die Tofu-Blöcke über Nasen verfügten, damit ihre Vorderseite erkennbar sind und sie Tinte schießen können – ein Spiel mit Tofu-Würfeln in der Hauptrolle wäre auf dem Markt nicht angekommen, das war auch Nintendo klar. Deswegen galt es als nächstes, neue Figuren für das Spiel zu erfinden. Die Designer zeichneten also zahlreiche Charaktere mit Armen und Beinen, doch keiner der Entwürfe konnte komplett überzeugen.



Ein weiteres Problem war, dass die Kampfarenen zwar dreidimensional waren, doch weil für die Punkteberechnung ausschließlich die Fläche des bekleckerten Bodens zählt, hatte es gar keinen Nutzen, die Wände mit Tinte zu besprühen. Das Team musste sich etwas einfallen lassen, um dieses „Wandproblem“ zu lösen. Die Suche nach einer Spielfigur und das Wandproblem brachten das ehrgeizige Projekt in eine Zwickmühle.


Kaninchen oder Tofu, das ist hier die Frage!

Zu dieser Zeit kam die Idee auf, Mario als Spielfigur einzubinden, was letztlich aber nicht geschah. Stattdessen entschieden sich die Entwickler vorläufig für Kaninchen. Wegen ihres weißen Fells konnte man gut sehen, wenn sie eingefärbt werden, und aufgrund der langen Ohren waren ihre Bewegungen auch aus der Vogelperspektive gut sichtbar. „Und als wir die anderen fragten, welchen Charakter sie für unser neues Spiel wählen würden, ein Kaninchen oder Tofu …“, begründete Nogami weiter die Wahl.

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Identitätskrise

Weil das Team selbst von seiner noch unfertigen Schöpfung nicht ganz überzeugt war, stellte Nogami das Projekt im November 2013 anderen Nintendo-Angestellten vor. „Das Feedback dazu war recht geteilt. Einige Leute sagten: `Das macht richtig Spaß´, während andere nur den Kopf schüttelten und sagten: `Ich glaube schon, dass es Spaß machen kann, aber …´“ Allen voran war Shigeru Miyamoto nicht überzeugt, der als EAD-Chefproduzent immerhin das letzte Wort hatte.



„Splatoon“ war zu diesem Zeitpunkt eine Akkumulation interessanter Ideen, der jedoch ein Zusammenhang fehlte. Dieses fehlende Bindeglied war die Spielfigur, die immer noch nicht finalisiert worden war. Auf der Suche nach einem Wesen, für das es logisch wäre, Tinte abzuspritzen, kam Sakaguchi schließlich auf Tintenfische. Gleichzeitig entstand die Idee, dass sich die Figuren von einer menschlichen zu einer tierischen Form und umgekehrt verwandeln können sollten. So entstanden die Inklinge: Menschen-artige Wesen, die sich in Tintenfische transformieren können.


Kid or Squid?

Die Vielzahl an Aktionen wurde auf die beiden Gestalten aufgeteilt. Als Tintenfisch kann der Inkling schnell durch die Tinte seines Teams schwimmen und dabei unerkannt bleiben. Außerdem kann die Tintenfisch-Gestalt angespritzte Wände hochklettern und so Höhenunterschiede überwinden – dadurch lösten die Entwickler das Wandproblem. Tinte verschießen und damit auch Kämpfen können die Inklinge aber bloß in Menschengestalt; dafür sind sie dabei ohne Deckung und können sich bloß relativ langsam fortbewegen. Diese Einteilung finalisierte das Entwicklerteam erst im Januar 2014. Das Projekt „Splatoon“ hatte somit seine Identitätskrise überwunden.



Ende 2012 begannen die Überlegungen, Mitte 2013 stand das Grundkonzept fest und Anfang 2014 waren die letzten Konzepthürden überwunden. Ein weiteres halbes Jahr später, nämlich am 10. Juni 2014, präsentierte Nintendo das Spiel erstmals der Öffentlichkeit. Im Rahmen der E3 kündigte der Hersteller seine neue Spielemarke an und erntete dabei viele positive Stimmen.

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Originale Konzeptskizzen des „Splatoon“-Teams (diesem Video entnommen)


Auf ins Gefecht!

Dem Entwicklerteam stand aber noch jede Menge Arbeit bevor. „Auf der E3 hatten wir nur eine Waffe“, erklärte Sakaguchi. „Wir hatten nur ein Level und [bloß] ein Modell [des Spielablaufs bzw. -aufbaus]. Als wir von der E3 zurückkehrten, bestand unsere große Aufgabe darin, daraus ein Produkt zu machen.“ Bis zur Veröffentlichung des Spiels war es noch gut ein Jahr, und in diesem Zeitraum entstanden die Einzelspielerkampagne sowie alle weiteren Inhalte des Spiels. Und um die Ausgewogenheit der vielen Waffentypen zu gewährleisten, hat das Team auch viel Zeit und Mühen in Balancing-Arbeiten gesteckt.


Unvollständig veröffentlicht?


Als all die Arbeiten schließlich abgeschlossen waren und „Splatoon“ endlich auf den Markt kam, kamen plötzlich kritische Stimmen auf, wonach das Spiel einen zu geringen Umfang aufweise. Manche Kritiker warfen Nintendo sogar vor, ein unfertiges Spiel zu veröffentlichen. Denn durch regelmäßige, kostenfreie Updates liefert Nintendo neue Stages, Waffen und sogar Spielmodi nach, die nach Ansicht der Kritiker schon zur Markteinführung hätten verfügbar sein sollen. Nintendos Gedankengang dahinter scheint aber zu sein, „Splatoon“ als Service zu betrachten, der langfristig unterstützt werden und die Spieler durch regelmäßige neue und kostenfreie Inhalte bei der Stange halten soll.



Immerhin hat Nintendo wirklich große Pläne mit „Splatoon“. Das Spiel erfuhr eine Marketingkampagne, wie sie nur wenige Nintendo-Spiele erleben dürfen, und erhielt sogar eigene amiibo. Nintendo scheint voll und ganz hinter seiner neuesten Marke zu stehen. Die Entwickler dürfte es sehr freuen, dass ihr steiniger Weg solche Früchte trägt. Angesichts all dessen ist davon auszugehen, dass „Splatoon“ irgendwann sogar eine Fortsetzung erhalten wird. Der riskante Schritt, eine neue Shooter-Marke zu veröffentlichen, hat sich wahrhaftig ausgezahlt.

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Ein Schmankerl zum Schluss: Mitglieder des „Splatoon“-Teams „bei der Arbeit“


Die Quelle für diesen Bericht war das sehr lesenswerte „Iwata fragt“-Interview mit den Entwicklern von „Splatoon“. Sofern nicht anders angegeben, sind die hier eingebundenen Bilder und verwendeten Zitate ebenfalls jenem Interview entnommen.

In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.