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Von der ersten Ankündigung im August 1993 unter dem Codenamen Project Reality“ bis zur Veröffentlichung gingen drei Jahre ins Land. Nintendos damalige Prämisse: Die Technik zeitgenössischer Supercomputer in eine erschwingliche Spielekonsole einzubauen. Doch als Achillesferse des Ganzen erwies sich die Entscheidung, auf althergebrachte Module statt auf neuartige CD-ROMs zurückzugreifen. Erfahrt nun die ganze Geschichte hinter dem N64!

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(Bildquelle)

Unter Zockzwang


Nintendo musste handeln. Während der Ära des Super NES hatten die Japaner ihre einstige uneingeschränkte Marktdominanz an Sega und das Mega Drive verloren. Die Einnahmen der gesamten Industrie waren rückläufig. Deshalb stand die nächste Generation bereits kurz bevor: Sega schickte seine Saturn-Konsole ins Rennen, der neue Konkurrent Sony veröffentlichte die PlayStation, hinzu kamen das 3DO und der Atari Jaguar. Das SNES erwies sich angesichts dessen als nicht zukunftssicher – nicht zuletzt, weil Nintendo selbst an die Grenzen seiner 16-Bit-Konsole stieß. Nintendo musste dringend handeln.


Nun, ganz so dramatisch mag die Situation doch nicht gewesen sein. 3DO und Jaguar scheiterten kläglich und Newcomer Sony musste sich erst noch unter Beweis stellen. Nintendos Profit mag zwar zugunsten von Sega geschrumpft sein, dennoch fuhren die Mannen aus Kyoto viel mehr Gewinne ein und saßen zudem noch auf einem wahren Geldberg. Bezeichnend dafür war, dass das erfolgreichste Spiel der Weihnachtssaison 1994 nicht etwa ein Next-Gen-Titel war, sondern „Donkey Kong Country“ für das vermeintlich veraltete SNES. Damit Nintendo den Anschluss an die Branche nicht verliert, musste trotzdem zeitnah eine neue leistungsstarke Konsole erscheinen.

Die Besten aus'm Westen


Natürlich tüftelte Nintendo damals schon mit Hochdruck an der nächsten Heimkonsole. Erstmals zeichnete für diese nicht die von Masayuki Uemura geleitete R&D2-Abteilung verantwortlich, die seit den „Color TV-Game“-Konsolen alle Nintendo-Heimkonsolen entwickelt hatte. Stattdessen war das federführende Team hinter dem N64 die von Genyo Takeda angeführte Abteilung R&D3, welche später unter dem Namen IRD auch GameCube, Wii und Wii U hervorbrachte.


Für den SNES-Nachfolger ging Nintendo ferner eine zentrale Kooperation mit einem amerikanischen Unternehmen ein. Die vorherigen Konsolen waren ausschließlich in Japan entstanden, doch zu Beginn der 1990er Jahre öffnete sich Nintendo mehr und mehr dem Rest der Welt, wo der Konzern immerhin noch erfolgreicher war als im Heimatland. Im Zuge dessen knüpften die Japaner wertvolle Partnerschaften mit Kult-Studio Rare, Argonaut Games sowie Silicon Graphics.


Die Jungs und Mädels von Argonaut Games holten mit „Star Fox“ und dem Super-FX-Chip alles aus dem SNES heraus. Für zeitgemäße 3D-Grafiken reichte das aber nicht aus. Deswegen tat sich Nintendo mit Silicon Graphics zusammen, um eine neue Konsole zu erschaffen, die auf 3D-Grafik spezialisiert ist.

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Der N64-Controller, wie wir ihn kennen, und sein Innenleben. (Bildquelle 1, Bildquelle 2) Wer sich dafür interessiert, wie der Controller des N64 (und jener von NES und SNES) funktioniert, dem empfehlen wir diese Seite.


Nintendo startet die Grafik-Offensive


Argonaut Games mag zwar nicht sehr bekannt sein, ist aber ein wichtiger Name, wenn man sich mit der damaligen Nintendo-Geschichte befasst. Das britische Studio entwickelte mit „Star Fox“ eines der wenigen Polygon-Spiele auf dem SNES und veröffentlichte den Super-FX-Chip, mit dessen Hilfe die Rechenleistung der Konsole weiter angehoben wurde, um 3D-Grafik zu ermöglichen. Doch selbst mit Unterstützung des FX-Chips war das SNES einfach nicht für die Zukunft gerüstet. Nintendo versuchte, „Mario“ und „Zelda“ auf dem SNES in polygonaler Grafik umzusetzen, doch scheiterte daran. Und wenn Nintendo selbst mit seiner eigenen Konsole an die Grenzen stößt, ist dringend Abhilfe vonnöten.


An dieser Stelle begann die Entwicklung der neuen Konsole, wofür sich Nintendo IRD mit dem ebenfalls oben erwähnten kalifornischen Unternehmen Silicon Graphics (SGI) zusammentat – dem damaligen Weltmarktführer im Bereich der High-End-Computergrafik, der hinter den Spezialeffekten in opulenten Streifen wie „Jurassic Park“ oder „Terminator 2“ steckte. Interessanterweise ging diese Zusammenarbeit von SGI aus. Die Kalifornier hatten damals gerade das Unternehmen MIPS aufgekauft, dessen Forschungs- und Entwicklungsabteilung an einem leistungsfähigen Chip für eine Videospielkonsole arbeitete. Damit wandte sich SGI zunächst an Nintendo-Konkurrent Sega.


Segas Konsolen-Entwickler in Japan waren mit dem Chip jedoch nicht zufrieden. Basierend auf den konkreten Rückmeldungen optimierten die Kalifornier ihren leistungsstarken Konsolen-Chip, doch wieder lehnten Segas Techniker ab. „Ich sagte ihnen, sie sollten sich an andere Firmen wenden“, erklärte der damalige Sega-Amerika-Chef Tom Kalinske 2006 in einem Interview. „Wir waren einfach nicht die Richtigen.“ SGI beherzigte das und wandte sich mit seiner Technik an Nintendo – die bekanntlich zusagten.


Zukunftssicher: 64-Bit und 3D-optimiert


Am 23. August 1993 machte Nintendo die Zusammenarbeit mit SGI publik und kündigte im selben Atemzug die neue Konsole unter dem Codenamen „Project Reality“ an. Die SGI-Tochter MIPS Technologies stellte für die Konsole einen hochmodernen 64-Bit-RISC-Prozessor parat. Sega und Sony setzten stattdessen noch auf 32-Bit.


Zum eigentlichen Entstehungsprozess der Konsole ist überraschend wenig bekannt. Chefentwickler Genyo Takeda äußerte einmal in einem Interview, Nintendo habe mit einem bewegungssensitiven Controller in der Art eines Armbandes experimentiert; doch was das genau bedeutet, bleibt unbekannt. Für diesen Controller habe Nintendo sogar ein Patent eingereicht, doch weil Testkunden die Bedienung nicht verstanden, verwarf das Team die Idee bald wieder.

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N64-Modul, aufgeschraubt und in Normalzustand (Bildquelle)


Wie der N64-Controller entstand


Es gab viele Revisionen während der Entstehung des N64-Controllers, bei der auch Shigeru Miyamoto eng beteiligt gewesen sein soll. Die Behauptung, Miyamoto habe den Controller rund um seine Bedürfnisse für „Super Mario 64“ entwickelt, ist jedoch nicht tragbar. Der damalige Nintendo-Programmierer Giles Goddard erklärte: „Wir hatten mehrere Prototypen – es gab viele davon, bestimmt mindestens 100 Prototypen. Hauptsächlich ging es um den Analog-Stick, wie er sich bewegt, wie gut er sich bewegt, welche Form das Ding drumherum haben sollte – letztendlich ist es sieben-seitig, aber wir haben Vieles ausprobiert, etwa Kreise.“


Nach unzähligen Revisionen entstand schließlich der finale N64-Controller, an dem auch Spiele-Chefentwickler Shigeru Miyamoto stark involviert gewesen sein soll. Statt eines rechteckigen Klotzes ist die Steuereinheit diesmal ein ergonomischer Dreizack. Außerdem führte der Controller den heute zum Standard gehörenden Analog-Stick ein. Während das digitale Steuerkreuz nur die Zustände „gedrückt“ und „nicht gedrückt“ unterscheidet, kann der Analog-Stick zwischen verschiedenen Stufen differenzieren. Dadurch war eine viel präzisere Steuerung im dreidimensionalen Raum möglich, auf den das N64 immerhin seinen Schwerpunkt legte.


Ebenfalls eine Besonderheit des Controllers: An dem Expansion-Port ließen sich Erweiterungen anbringen wie das Controller-Pak, auf dem man Spielstände speichern kann, oder das Rumble Pak, welches den Controller um die heute Usus gewordene Vibrier-Funktion ergänzt.


Die Krux mit der Cartridge


Hochmoderne Technik, ein neuartiger Controller, Fokus auf 3D-Grafik: Das alles klang damals fast zu gut, um wahr zu sein. Darum gibt es an der ganzen Sache auch bekanntlich einen Haken, denn statt CD-ROMs setzt das N64 auf altbackene Steckmodule, wohingegen die Konkurrenz ihre Konsolen mit jenem scheibenförmigen Medium der Zukunft betrieb. Und das aus gutem Grund: Zu bloß etwa einem Zehntel des Produktionspreises passen auf CD-ROMs gut hundert Mal so viele Daten wie auf ein typisches N64-Modul.


Sprachausgabe und vorberechnete Filmsequenzen, ein damals im Aufstieg begriffener Trend der Branche, waren auf Nintendos Heimkonsole damit kaum umsetzbar. Viele Entwickler wandten sich deswegen von Nintendo ab; der prominenteste Verlust dürfte die Edel-RPG-Schmiede Square sein. Das Speichermedium Cartridge erwies sich so als Achillesferse der ansonsten so zukunftssicher scheinenden Konsole. Warum bloß entschied sich Nintendo zu jenem Schritt, nachdem man bereits über Jahre an einer CD-Erweiterung für das SNES gebastelt hatte? (wir berichteten)

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Schneller, sicherer – monopolistischer?


Die offizielle Begründung seitens Nintendo drehte sich um die Lesegeschwindigkeit. Daten von einer CD-ROM zu lesen, benötigte damals ein wenig Zeit, und das war in der Summe so gravierend, dass sich die PlayStation-Ära nicht zuletzt durch endlose Ladebildschirme auszeichnen sollte. Speicherchips in Spielmodulen hingegen sind praktisch instantan zu lesen. In den meisten N64-Spielen sind Ladezeiten darum kaum zu bemerken, sodass an Nintendos Begründung durchaus etwas dran ist.


Hinzu kam, dass sich CDs sehr einfach raubkopieren lassen, wohingegen das Ganze bei Modulen eine schwierigere Angelegenheit ist. Damit wollte Nintendo der Software-Piraterie einen Riegel vorschieben; dieser Aspekt war dem japanischen Hersteller schon immer wichtig gewesen. Böse Zungen munkeln, dass der Mario-Konzern durch diesen Schritt ferner gewährleisten wollte, die absolute Kontrolle über die Produktion der Speichermedien für die eigene Konsole zu haben. Nintendo soll durch diesen Schritt intendiert haben, wieder die Alleinherrschaft über den Markt zu erlangen. Dazu äußerte sich Nintendo-Sprecher Howard Lincoln in Kents „Ultimate History of Video Games“ im Abschnitt „Inside Nintendo“ (was für'n Nachmacher). Lincoln bestätigte den ersten Aspekt der Piraterie-Gegenmaßnahme, den zweiten Teil über Marktkontrolle hingegen dementierte er vehement. Was auch sonst.


Im Übrigen sparte Nintendo dadurch, dass kein CD-ROM-Laufwerk eingebaut werden musste, etwa 40 $ in der Produktion einer N64-Einheit. Dadurch wurde der Kampfpreis von 250 $ erst möglich gemacht. Die Kehrseite der Medaille war jedoch, dass N64-Spiele mit Preisen von um die 70 $ teurer waren als jene der Konkurrenz.


Von Rechentempos und scheiße aussehenden Pixeln


Betrachten wir nun einmal die Spezifikationen des N64 etwas genauer. Die Technik hinter der Konsole konnte sich damals echt sehen lassen, doch wie gut war sie wirklich? Die rohe Durchschnitts-Renderleistung von etwa 100.000 Polygonen pro Sekunde mochte zwar keinen Blumentopf gegen die etwa 350.000 Polygone je Sekunde von Sega Saturn und PlayStation gewinnen, doch dafür überzeugte Nintendos Konsole durch zusätzliche Grafikeffekte sowie den Fokus auf 3D-Umgebungen.


Giles Goddard drückte das Ganze wie folgt aus: „Das N64 war nicht besonders schnell. [Aber] es erzeugte schöne Pixel. Schön texturiert, schön koloriert, schön beleuchtet, schön kantengeglättet. Die PlayStation war zwar viel schneller, doch ihre Pixel waren scheußlich; es gab keine Texturierung, keine Kantenglättung. Extrem schnell, doch die Pixel sahen einfach scheiße aus.“ Übrigens konnte das N64 theoretisch ebenfalls extrem schnell – durch Verzicht auf sämtliche Grafikeffekte war, zumindest auf dem Papier, eine noch höhere Polygon-Leistung als bei der Konkurrenz möglich –, doch warum sollte man die rohe Polygonanzahl der tatsächlichen Grafikqualität vorziehen?

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N64-Nebel und Texturenmatsch


Die mit 93,75 MHz getaktete 64-Bit-CPU des N64 war den Hauptrecheneinheiten von Saturn und PlayStation stark überlegen. Daneben werkelt in Nintendos Konsole ein zweiter Prozessor, der eigens für dieses Projekt von SGI entwickelte Reality Coprocessor. Dieser ist für die Grafik- und Audio-Verarbeitung zuständig und auf Berechnungen dreidimensionaler Darstellungen spezialisiert. Hinzu kommen vier Megabyte Arbeitsspeicher – ebenfalls eine solide Zahl im damaligen Kontext, zumal sich der Arbeitsspeicher durch das separat erhältliche Expansion Pack verdoppeln ließ. Sonderlich hohe Render-Sichtweiten waren dennoch nicht umsetzbar, was die Entwickler mit dem charakteristischen „N64-Nebel“ zu kaschieren versuchten.


Ebenfalls charakteristisch für die Grafik des N64 sind matschige Texturen. Der Grund dafür ist der auf bloß 4 Kilobyte beschränkte Texturen-Cache. Mit anderen Worten standen den Entwicklern nur vier Kilobyte für alle zu einem Zeitpunkt darzustellenden Texturen zur Verfügung. Das war bereits zur damaligen Zeit sehr wenig. Deswegen mussten N64-Entwickler viel zu kleine Texturen sehr stark strecken. Die Bilineare Filterung der Konsole sorgt nun dafür, dass statt Pixelblöcken ein verschwommener Mischmasch dargestellt wird.


Talentierte Studios wie Rare oder Factor 5 umgingen diese Einschränkung etwa dadurch, dass sie aus winzigen Texturen größere individuelle Texturen zusammenstellten. Aufgrund der schnellen Lesegeschwindigkeit war es alternativ auch möglich, Texturen direkt vom Modul zu streamen.


Wir erinnern uns einmal zurück: Das N64 war 1993 unter dem Codenamen „Project Reality” angekündigt worden. Warum bis zur Veröffentlichung so viel Zeit verging und wie die Konsole ihren finalen Namen erhielt, darum wird es im nächsten „Inside Nintendo”-Teil gehen.


Hauptquellen: Steve L. Kent: The Ultimate History of Video Games, 2001, S. 490–539; Ken Horowitz: Interview mit Tom Kalinske, Sega-16.com, 2006; Pixelatron: The Making Of Super Mario 64 – full Giles Goddard interview, 2010 (Interview geführt 2001)


In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.